Qualität ist die Leidenschaft der Gründleinsmühle. Seit 130 Jahren werden dort hochwertige Produkte hergestellt.
2022
10/21/2022
Qualitätssicherung durch neueste Laboranalytik
Die Gründleinsmühle GmbH wird von der Familie Englert bereits in der vierten Generation mit Hingabe und Professionalität geführt. Eine Getreidemühle und eine Mühle für Tierfutter sind die Herzstücke der Gründleinsmühle GmbH mit Hauptsitz in Obervolkach, nahe der Mainschleife im Landkreis Kitzingen.
Lange Tradition
Bereits Ende des 16. Jahrhunderts wurde die Gründleinsmühle in Obervolkach erstmals erwähnt. Nachdem seit jeher ein Wasserrad die Mühle angetrieben hatte, wurde es 1906 durch zwei Turbinen ersetzt. Karl Englert, der 1905 in die Familie des Mühlenbesitzers einheiratete, trieb die Modernisierung voran. Im Jahr 1913 folgte der Einbau von Walzenstühlen und Plansichtern. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat ein Neubau an die Stelle des alten Gebäudes. Zusätzlich entstanden zwischen 1952 und 1954 Silos und große Werkshallen. Im Jahr 1958 erweiterte Familie Englert das Sortiment um Tierfutter, um die Nachprodukte des Mahlvorgangs besser verwerten zu können.
Jürgen Englert entschied sich für ein größeres Investment und kaufte die Ohlmannsmühle in Scheinfeld dazu. Die zweite Mühle bietet eine vielfältige Produktpalette. Die Erzeugnisse bestehen aus heimischem Getreide, wie Weizen, Roggen und Dinkel. Dieses wird zu Mehl und Schrot verarbeitet. Dabei setzt man vor allem auf regionale Zulieferer. „Es entstehen Produkte, denen man ihre Ursprünglichkeit anmerkt – den Geist und das Herz Mainfrankens“, so Jürgen Englert, der den Betrieb leitet. Die Mühlen sind nachhaltig ausgelegt und beteiligen sich am Umweltpakt Bayern. Die Energie wird u.a. aus Wasserkraft und mittels Wärmepumpe erzeugt. Unter den 18 Beschäftigten der Gründleinsmühle GmbH gibt es einen Energiebeauftragten.
Neben den klassischen Bäckereiprodukten fertigt die Gründleinsmühle im eigenen Kraftfutterwerk Tierfutter. Dank über 50 Jahren Praxiserfahrung ist sie zu einem qualifizierten Hersteller von Pferdefutter und Fischnahrung in loser und gepresster Form geworden. Außerdem gibt es Geflügel-, Kaninchen-, Reh- und Rotwildfutter. Zusätzlich zu den üblichen Vertriebswegen bietet der Mühlenladen an der Betriebsstätte in Scheinfeld die Möglichkeit, das gesamte Sortiment von Mehl und Schrot bis hin zu Tiernahrung zu begutachten und zu erwerben.
Qualität und Sicherheit
„Qualität ist unsere Leidenschaft“, betont Jürgen Englert. „Als Familienunternehmen sind uns Werte und Tradition wichtig. Gleichzeitig möchten wir aber auch mit der Zeit gehen und durch Fortentwicklung beste Qualität garantieren.“ Deshalb werden an beiden Standorten der Gründleinsmühle – in der Getreidemühle und im Futtermittelwerk – Analysegeräte von PerkinElmer eingesetzt, einem globalen Technologieunternehmen für Lösungen der Lebensmittel-, Chemie- und Umweltindustrie. „Wenn man die Eigenschaften des Weizens kennt, den man kauft, kann man damit auch genau das Mehl produzieren, das der Kunde braucht“, erklärt Jürgen Englert die Partnerschaft mit PerkinElmer. Mithilfe der neuen Instrumente können Parameter untersucht werden, die für einen optimalen und stabilen Prozessablauf in der Mühle entscheidend sind.
Kundenwünsche
Die Kundenanforderungen an die Produkte sind vielfältig und werden immer individueller. Protein- und Mineralstoffgehalt, maximale Feuchtigkeit, Menge und Qualität sind nur einige der Eigenschaften, die neben der Lebensmittelsicherheit zunehmend an Bedeutung gewinnen. Wichtige Zertifizierungen, z. B. nach dem International Food Standard (IFS), können mit den modernen Analysegeräten laufend kontrolliert und aktualisiert werden. Das erleichtert die Dokumentation und das Nachweisverfahren.
Die Investition der Gründleinsmühle, die zu 25% vom Land Bayern bezuschusst wurde, hat sich Familie Englert gut überlegt: Für den Entscheidungsprozess nahm man sich ein ganzes Jahr Zeit. Insgesamt standen drei Hersteller in der engeren Wahl. PerkinElmer war schließlich der erste Anbieter, der über das Prüflabor kontinuierlich verwertbare Daten lieferte. So wurde das Nahinfrarotspektroskopie-Gerät DA 7200 im Futtermittelwerk im laufenden Prozess erprobt und mit anderen Fabrikaten verglichen. Von mitentscheidender Bedeutung war auch die Zusammenarbeit mit den Herstellern, denn die Software musste angepasst werden und es gab Änderungen bei Kennlinien und Algorithmen. Neue Ernten, wechselnde Qualitäten sowie geänderte Ansprüche der Kunden waren zu berücksichtigen und Wartungsverträge abzuschließen. Nach einem Jahr voller Verhandlungen, Erprobungen und Erfahrungen fiel die Entscheidung letztlich auf die Geräte von PerkinElmer und seinen Support.
Installation und Erfahrungen
In der Getreideannahme wird der Getreide-Analysator IM 9500 eingesetzt. Dieser kann in weniger als einer Minute qualitätstragende Parameter wie Feuchtigkeit, Protein- und Mineralstoffgehalt sowie Sedimentationswert bestimmen. Zusätzlich ist mit dem IM 8600 noch ein älteres Modell zur Mehlmessung im Einsatz, das vorwiegend zur Bestimmung des Mineralstoffgehaltes genutzt wird. Tanja Ruoff, Chemielaborantin und verantwortlich für die Qualitätssicherung der Mühle, arbeitet seit 17 Jahren im Labor in Scheinfeld. Sie möchte diese zuverlässige Maschine nicht missen. „Wenn die Maschine einmal abgeschafft werden sollte, dann gehe ich auch in Rente“, bestätigt sie lachend.
Das NIR-Gerät DA 7200 misst Feuchtigkeit, Protein, Fett, Ballaststoffe, Stärke und viele andere Parameter von Proben aller Art – in Pulvern, Pellets und Körnern, aber auch im Mehl. Glutengehalt und Fallzahl der Mehle werden mit den PerkinElmer-Modellen „Glutomatic“ und „Fallzahl 1500“ bestimmt. Zur Prozessüberwachung wird zudem an mehreren Stellen in der Getreidemühle und bei der Verladung das DA 7300 genutzt. Mithilfe von NIR-Geräten lassen sich z. B. die Gehalte an Protein, Wasser, Fett, Mineralstoffen und Stärke von Weizen und Mehl im Prozess in Echtzeit ermitteln. Die Geräte senden die Daten direkt an das Anlagensteuerungssystem.
Zusätzlich zur Angebotsvielfalt wird auch die Qualität immer wichtiger. Hier gewährleisten die neuen Geräte größere Kontinuität und konstante Qualitäten. Sie greifen direkt und schnell in den Prozess ein und steuern dabei die Abläufe automatisch. „Händische Eingriffe, wie sie früher erforderlich waren, sind damit nicht mehr notwendig“, erzählt Tanja Ruoff.
NIR-Prozessgerät DA 7300
Das NIR-Prozessgerät DA 7300 In-line nutzt die NIR-Diodenzeilen-Technik, die bei Laboranwendungen für Effizienz steht. Es arbeitet in demselben Wellenlängenbereich (950–1 650 nm) wie Laborgeräte, sodass verfügbare Kalibrierungen zugleich vom Labor und vom Prozessgerät genutzt werden können. Das Gerät ist in einem Edelstahlgehäuse (nach Schutzart IP 65) sicher untergebracht, das Sichtfenster aus kratzfestem Saphirglas gefertigt.
Zusätzlich hat das DA 7300 In-line eine zweite Lichtquelle. Durch das 2-Lampen-System mit automatischer Umschaltung wird ein reibungsloser Betrieb sichergestellt. Die Lebensdauer einer Lampe beträgt mindestens 10 000 Betriebsstunden. Der interne Computer ist mit dem Windows® 10-Embedded-Betriebssystem (LTS) ausgestattet. Darüber hinaus kann Software für eigene Zwecke installiert werden. Ebenfalls gibt es eine hochauflösende Farbkamera für Live-Videos des Probenstroms, für die Detektion von Stippen sowie zur Farb- und Bilderkennung.
Kundenanforderung: Ascheoptimierung
Jürgen Englert wollte die Mineralstoffgehalte steuern können, um sie auch über größere Mengen hinweg entsprechend den Qualitätsanforderungen seiner Kunden genau einhalten zu können. Hierzu wurde eine unterlagerte SPS von Siemens eingesetzt und programmiert, die eine Dosiereinheit ansteuert. Über einen modernen, selbstlernenden digitalen PID-Regler, der als reine Softwarelösung realisiert ist, wird der Mineralstoffgehalt gemäß dem Vorgabewert eingestellt. Eine Herausforderung war die lange Totzeit in der Regelstrecke, die nur durch eine intelligente digitale Lösung berücksichtigt werden konnte.
Für die Anbindung an die unterlagerte Automatisierungstechnik gibt es mehrere Möglichkeiten, die grundsätzlich immer auf dem Austausch von OPC-Variablen beruhen. Seitens PerkinElmer wird standardmäßig eine getrennte OPC-Server-Instanz (DA oder UA) für eine mögliche technische Anbindung implementiert und zur Verfügung gestellt.
Kundenanforderung: Überwachung der Verladung
Ein weiteres DA 7300 wurde im Bereich der Verladung installiert, um die Tätigkeiten dort zu vereinfachen. Insbesondere bei Zellenumschaltungen musste früher wertvolles Produkt in Anfahrbehälter gefahren werden, damit der Kunde ausschließlich das gewünschte Produkt erhielt. Heute werden durch die kontinuierliche Analyse der zu verladenden Mehle Umschaltvorgänge zeitnah und ohne Produktverlust durchgeführt. Fehlbeladungen sind dank der direkten Überwachung ausgeschlossen.
Einbauposition
Das Prozessgerät DA 7300 In-line ermöglicht bis zu 20 kontinuierliche NIR-Messungen pro Sekunde direkt im Produktstrom. Mit der webbasierten Software kann jedes einzelne Absorptionsspektrum bewertet und aussortiert werden. Dadurch wurde ein aufwendiger Bypass verzichtbar und das DA 7300 ließ sich in den Nachbehälter der Kippwaage einbauen. Damit werden die Messungen im diskontinuierlichen Betrieb sofort angehalten, wenn zu wenig Produkt vor dem Messfenster steht. In der Verladezone wurde das DA 7300 im unteren Bereich des Vorbehälters der Verladegarnitur installiert, um die Restmengen in den Förderaggregaten möglichst gering zu halten.
Bedienung und Wartung
Das DA 7300 In-line ist mit der aktuellen ProcessPlus-Software ausgestattet. Hierüber lassen sich sämtliche Messwerte in Textform und als Trendliniengrafik darstellen. Zusätzlich werden der jeweilige Betriebsstatus sowie das gewählte Produkt angezeigt.
Das Kamerabild ist in die Oberfläche integriert. Zusammen mit einer internen Bildauswertung werden normierte Stippenzahlen gemessen und bei einem Notfall wird ein Alarm ausgelöst. Mit dieser Auswertesoftware lassen sich Min.- und Max.-Grenzen, Sollwerte und Warnschwellen für jeden einzelnen Parameter eingeben und darstellen. Da alles webbasiert ist, können Mitarbeiter den Prozess auf unterschiedlichen Endgeräten verfolgen. Um den automatisierten Ablauf nicht zu unterbrechen, entschied sich die Gründleinsmühle trotz der Kosten für eine vorbeugende Wartung.
Ich bin kein Digital Native. Ich bin im letzten Jahrhundert geboren, mitten in der ersten Ölkrise.
2022
10/21/2022
Skalierung, Exponentialkurven und andere Flüche des Digitalzeitalters
Ein Gastbeitrag von Julia Peglow
Ich gehöre einem Jahrgang an, der im ersten Semester des Designstudiums noch mit Rapidograph gezeichnet hat, um im vierten Semester HTML zu coden. Während ich studiert habe, gab es auf einmal „das Internet“ und „E-Mail“. Meine erste Adresse in dieser neuen Welt war 100622.2766@compuserve.com.
Ich kenne beide Welten, die analoge und die digitale. Ich bin nicht Generation X, Y oder Z und auch kein Millennial. Ich gehöre durch mein Geburtsjahr der Generation an, die mit einem Bein im analogen und mit dem anderen im digitalen Zeitalter steht. Wir waren die ersten, die sie richtig gesurft sind, die Welle der Digitalisierung. Die einzige Konstante, die uns alle unser Erwachsenen- und Erwerbsleben hindurch begleitet hat, war dabei immer die Veränderung – eine hektische Grundaufgeregtheit, ein Gefühl des Umbruchs, das in der Luft liegt, seit wir denken können. Unser Normalzustand ist der Hype.
Wir haben sie alle am eigenen Leib miterlebt: Drei technologische Revolutionen – der Personal Computer in den 1980er-, das Internet in den 90er- und das Smartphone in den 00er-Jahren. Wir haben zugesehen, wie eine ganze Generation von Jahrgängen auf der Welle des Erfolgs nach oben gespült wurde. Die Super-Unternehmen, über die wir heute reden, sind mehr oder weniger innerhalb eines einzigen Jahrzehnts aus dem Boden geschossen: Google, Amazon, Meta, Spotify, Airbnb, Uber, Tesla. Ein Jahrzehnt, in dem tatsächlich ganze Industrien über Nacht durch technologische Lösungen hinweggefegt wurden – einen Algorithmus oder eine App.
Ohne, dass wir uns dessen so richtig bewusst wurden, wurde unsere Welt innerhalb weniger Jahre von neuen, kristallinen Strukturen durchzogen: unsere alten, physischen Werkzeuge wie Filofax, Briefpapier und Tagebücher wurden durch digitale Tools ersetzt, das Wissen auf alten Karteikarten in Datenbankstrukturen der virtuellen Welt einsortiert, und menschliche Handlungen in Algorithmen abgebildet. Das Öl als wertvollster Rohstoff wurde innerhalb einer Dekade von einem neuen, flüssigen, manchmal leakenden Stoff abgelöst: Daten.
Der Zweck vieler Digital-Geschäftsmodelle, die im letzten Jahrzehnt entstanden sind, ist deshalb vor allem auf die Maximierung der Datenernte ausgerichtet. Die schwindende Bedeutung der alten Welt gegenüber diesen Digitalunternehmen spiegelt sich in den Firmenbewertungen wider: Airbnb, eine reine Online-Vermittlung für Unterkünfte, ist mit dreißig Milliarden US-Dollar geschätzt mehr wert als Hilton, das mit fünftausend Hotels weltweit größte Hospitality-Unternehmen an der Börse. Der Online-Fahrtenvermittler Uber ist mit sechzig Milliarden US-Dollar höher bewertet als die beiden größten amerikanischen Autobauer, Ford und General Motors, zusammen. Der Wert eines Unternehmens besteht nicht mehr in den physischen Assets – Werkhallen, Produktionsstätten, Fabriken, Niederlassungen, Häuser, Mitarbeiter und produzierte Stückzahlen. Sondern darin, über wie viel Intelligenz es verfügt: Userdaten zu sammeln und diese zu verwerten. Ein Algorithmus oder eine App können eben exponentiell skalieren.
Darin liegt aber eben auch der Fluch unserer Generation: Jede Idee, die wir heute haben, muss im Digitalzeitalter sofort exponentiell skalieren! Das Pflänzchen unserer kleinen, feinen Idee müssen wir sofort als Businessplan aus dem Boden stampfen und innerhalb kürzester Zeit, von null auf hundert, „on a global scale“ hieven, mit allen Mitteln, einem PR-Hype, tonnenweise Venture Capital und unmenschlicher Geschwindigkeit – wenn wir Impact haben wollen. „Das skaliert nicht“, ist zu einem geflügelten Wort in der geschäftlichen Welt geworden – es kommt einem Todesurteil gleich. Die exponentielle Skalierungskurve ist der Herzinfarkt-Takt des Silicon Valley, der auf uns alle abstrahlt: Er macht es uns so unglaublich schwer, eine Idee organisch wachsen zu lassen.
Aber es gibt neben dem Skalierungs-Fluch eine weitere, eigenartige Entwicklung, die noch viel tiefer geht: Es scheint eine Gesetzmäßigkeit darin zu bestehen, dass Systeme zum Selbstzweck werden – und das gilt gleichermaßen für analog-industrielle oder digitale Strukturen. Je ausdifferenzierter, perfektionierter und feinziselierter sie werden, desto mehr gerät der ursprüngliche, innere Sinn und Zweck des Systems in Vergessenheit. Einfaches Beispiel aus dem Arbeitsalltag: Wir sind mit Tunnelblick so darauf fokussiert, die Termine in unserem digitalen Kalender abzuarbeiten, dass der eigentliche Zweck des Termins in den Hintergrund rückt. Vor lauter Terminen sehen wir oft den „Wald vor lauter Bäumen nicht“ – und wir verlieren unser Ziel aus den Augen: Uns auf das zu konzentrieren, um was es in dem Termin eigentlich geht, was eigentlich zu besprechen gewesen wäre – die Sache an sich.
Wo ich hinschaue, begegnen mir Beispiele für diesen verloren gegangenen, korrodierten Kern: In der Netflix-Doku „Chef’s Table“ sagt ein Gemüselieferant mit Bewunderung über Dan Barber vom berühmten Blue Hill Restaurant in New York City, dieser sei „der erste und einzige“, der ihn nicht gefragt hätte, Ertrag, Haltbarkeit oder Stapelbarkeit seiner Gemüse zu verbessern – sondern den Geschmack. Was für eine Welt haben wir konstruiert, in der wir vor lauter Effizienz und Systemperformance diese innerste Qualität vergessen haben, um die es eigentlich geht? Wo ist der Geschmack, wo die Schönheit geblieben? Warum haben wir vergessen, dass es um die Sache an sich geht?
Meine Generation, die wir – aus westdeutscher Sicht – noch in einer überschaubaren Welt mit Zwanzig-Uhr-Tagesschau, Löwenzahn mit Peter Lustig, einem Konto bei der Sparkasse und der Süddeutschen Zeitung auf dem elterlichen Wohnzimmertisch groß geworden sind, eint ein seltsam zerrissenes Grundgefühl: dass die Welt und alle dazugehörigen Gesetze der Schwerkraft, mit denen wir aufgewachsen sind, sich aufzulösen scheinen; und wir uns bei aller Verwirrung und Angst trotzdem darüber freuen – weil es ein Neuanfang ist, der die alte Piefigkeit des letzten Jahrhunderts hinwegfegt.
Aber gerade in unserer Zeit ist es so wichtig, sich diese großen Entwicklungen – den Skalierungs-Zwang oder den Selbstzweck der Systeme – vor Augen zu führen, so schwer es auch fällt, in der Kleinteiligkeit des Alltags und des Tagesgeschäfts. Und dagegen zu halten! Wir müssen der digitalen Welt mit einer anderen Haltung gegenübertreten. Nicht nur mehr reagieren, sondern agieren. Es braucht Visionär:innen und Idealist:innen, denen es nicht darum geht, optimal im System zu performen. Sondern denen es um die Sache an sich geht! Wenn wir die Chance nutzen, dann muss unsere Zeit kein Höllenritt auf der Exponentialkurve der digitalen Transformation sein – wer will das schon? Vielleicht ist unsere Zeit ja gar keine lineare Achse in die unausweichliche, technoide Zukunft – sondern eine aufregende Zeit, in der so vieles die Chance hat, sich zu verändern.
Der Artikel handelt von alternativen Proteinen und deren Marktchancen
2022
10/19/2022
Marktchancen für alternative Proteine
Bei Rind- und Schweinefleisch ist die Nachfrage in Deutschland seit 2018 rückgängig, bei Milcherzeugnissen schon seit 2014. Nach dem Marktforschungsunternehmen Kearney wird 2040 konventionelles Fleisch 40 %, In-vitro-Fleisch 35 % und pflanzliche Fleischersatzprodukte 25 % des Gesamtumsatzes ausmachen. Laut einer Studie der Boston Consulting Group (BCG) wird der alternative Proteinmarkt bis 2035 von momentan 2 % des Gesamtmarkts für Proteine auf 11 % ansteigen. Wenn der Verbraucher die Produkte verstärkt nachfragt und zusätzlich unterstützende Gesetze in Kraft treten, könnten alternative Proteine sogar 22 % des gesamten Proteinmarktes ausmachen. Andererseits wird der Proteinmarkt für tierische Produkte schrumpfen, wie es auch die Thünen-Studie für Deutschland vorhersieht. Nach der RethinkX-Studie wird die US-Nachfrage nach Milch und Fleisch bis 2035 sogar um 80-90 % sinken. 2030 könnte der US-Markt für Rindfleisch nur noch bei 30 % liegen und Fleischersatzprodukte 70 % des Marktes einnehmen. Die Gewinne durch pflanzliche Ersatzprodukte sollen weltweit von 4,6 Milliarden US-Dollar im Jahr 2018 bis auf 85 Milliarden US-Dollar im Jahr 2030 anwachsen.
Proteinarten
1. Pflanzliche Proteine
Bei der Auswahl neuer Alternativen kommt es auf die Zugänglichkeit der Proteine an. So können Speicherproteine aus Leguminosen einfacher gewonnen werden, als z.B. Proteine aus Algen und Gräsern. Deshalb werden vor allem Leguminosen bei der Gewinnung von Proteinzutaten als Rohstoffe eingesetzt. Beispielsweise könnten zukünftig Sonnenblumenproteine als Proteinquellen genutzt werden, auch Versuche mit Eiweiß aus Gras sind erfolgreich. Welche Proteinprodukte sich auf Dauer durchsetzen und welche Rohwaren verstärkt von der Lebensmittelindustrie nachgefragt werden, hängt von den Eigenschaften der Proteine ab. Sie müssen gut löslich sein und schmecken. Zusätzlich hängt es von der Farbe, ihrer Verfügbarkeit sowie vom Preis ab. Neben den zahlenmäßig wachsenden alternativen Proteinen vergrößert sich auch der Bereich der Produkte, in denen sie eingesetzt werden. So gibt es jetzt schon viele pflanzliche Fleisch-, Milch-, Ei- und Fischersatzprodukte auf dem Markt und die Nachfrage wächst. Es wird weiterhin eine wachsende Nachfrage nach Soja, Erbsen und auch Lupinen erwartet, da diese die wichtigsten Rohstoffe bei der Herstellung von Fleischersatzprodukten sind. Beispielsweise ist der Umsatz an veganen und vegetarischen Lebensmitteln in Deutschland von 736 Millionen Euro 2017 auf 1.219 Millionen im Jahr 2019 angestiegen.
Erbsen
Zu den neueren pflanzlichen Proteinen zählt vor allem Erbsenprotein. Dieses hat sich in der Industrie schnell etabliert, denn Erbsenprotein muss nicht als Allergen auf den Endprodukten gekennzeichnet werden, so ist es bei der Fleischersatzproduktion, aber auch in Fitness-Snacks und -Getränken sehr beliebt.
Soja
Alternativen auf Basis von Soja- und Weizenproteinen waren die ersten und gängigsten pflanzlichen Produkte auf dem deutschen Markt, dazu zählen z.B. Tofu und Seitan. Denn Soja- und Weizenproteine haben gute physikalische und chemische Eigenschaften und sind leicht erhältlich. Pflanzliche Ersatzprodukte sind hauptsächlich aus in Europa angebauten Sojabohnen hergestellt.
Bohnen
Lupinenprotein ist eines der wichtigsten Proteine in der Fleischersatzindustrie. Hergestellt wird das Lupinenprotein als quarkähnliche Masse und als Pulver. Lupinen werden zu Mehl, Aufstrich, Nudeln und Proteinpulver verarbeitet, aber auch Kaffee- und Milchersatz werden aus Lupinen hergestellt. Zukünftig könnten auch Ackerbohnenproteine als Proteinquellen genutzt werden. Es hat viele Vorteile in der Industrie, denn es ist allergen- und glutenfrei.
Reis
Reisprotein zählt zu den neueren pflanzlichen alternativen Proteinen. Diese müssen ebenfalls nicht als Allergene auf den Endprodukten gekennzeichnet werden. Es wird hauptsächlich als Nahrungsergänzungsmittel verwendet. Es kann zu Shakes, Smoothies oder Gerichten zugefügt werden, damit der Proteingehalt erhöht wird.
2. Tierische Proteine
Insektenproteine
Isolierte Insektenproteine könnten sich vor allem als Tierfutter, aber auch für den menschlichen Verzehr in Zukunft etablieren. Vor allem für isolierte Proteine, die aus industriell gezüchteten Insekten für die Herstellung von Lebens- und Futtermitteln gewonnen wurden, gibt es einen wachsenden Markt. Die Insekten werden durch Hitze oder Kälte getötet und danach als Ganzes vermahlen oder zu einer Paste verarbeitet. Die Verarbeitungseigenschaften von Insektenproteinen und -mehl, werden als gut eingeschätzt. Allerdings ist die Produktion mit Insekten produziertem Protein in Deutschland relativ klein und kann noch nicht mit Import-Soja konkurrieren.
Mikrobenproteinen
Mikroben wie Bakterien und Hefen haben viele Vorteile im Vergleich zu Pflanzen. Sie verdoppeln ihre Biomasse innerhalb von Stunden und können Stickstoff mit einer Effizienz von nahezu 100 Prozent in Proteine umwandeln. Zusätzlich kann man unterschiedliche Bakterienstämme miteinander kombinieren. So lässt sich der Proteingehalt erhöhen und ein günstigeres Aminosäure- und Fettsäureprofil erzeugen.
Das Produktionsvolumen der mikrobiellen Proteine für Futtermittel beträgt 90.000 Tonnen Trockenmasse pro Jahr. Konventionelle Futtermittel, wie Sojaschrot und Fischmehl, könnten durch mikrobielles Protein ersetzt werden. Momentan ist dies jedoch nur eine Marktnische. Vor allem in Vietnam ist die mikrobielle Fischmehlalternative gefragt. Daher wird Vietnam voraussichtlich auch das Land mit dem höchsten Wachstumspotenzial für mikrobielle Proteine als Futter- und Lebensmittel sein. Derzeit werden mikrobielle Proteine aber vor allem als Tierfutter verwendet, weniger für den menschlichen Verzehr.
Das historische Tagebuch des Müllers haben wir in unserem Verlag über Jahrzehnte gehütet und jetzt an ein Museum gegeben
2022
10/19/2022
Neue Heimat für das Tagebuch des Müllers
Etwas traurig packten wir die Kisten ins Auto und fuhren gen Norden, Richtung Steinhuder Meer. Als uns der Vorsitzende des Vereins, der Müllerei- und Mühlenbautechniker Rüdiger Hagen, am Eingang seines Erdholländers aus dem Jahre 1863 mit dem Namen „Paula“ begrüßte, wussten wir, es war die richtige Entscheidung. Hier in der historischen Mühle hat das Tagebuch eine neue Heimat. Ziel des Vereins ist es, die Steinhuder Windmühle als Mühlentechnik-Museum zu erhalten. Unsere Dokumente und das Tagebuch des Müllers können dort nun alle Besucher des Museums anschauen.
Dass sich ein Ausflug zu „Paula“ in Steinhude lohnt, zeigten uns Rüdiger Hagen und Fied Wegener bei der Führung durch die dreistöckige Mühle. Hier erlebten wir vom Kappboden über den Schütt- und Lagerboden bis zum Mahl-und Walzenboden den gesamten Weg der Getreideverarbeitung. Mit den ursprünglichen Arbeitsgängen im Betrieb bis hin zum fertigen Produkt.
Dabei durften wir auch ganz oben in der Kappe der Windmühle in gebückter Haltung stehend Bunkler und Kammrad bewundern. Denn um die Flügel stets in die vorherrschende Windrichtung stellen zu können, ist die Kappe mithilfe der Windrose drehbar. Auch wenn Rüdiger Hagen an diesem windstillen Sommertag die Kappe mit der Kurbel kaum drehen konnte, war der Besuch für uns eingroßartiges Erlebnis. Und selbstverständlich kauften wir noch einige Tüten des von „Paula“ gemahlenen Mehls.
Rüdiger Hagen hat so einen reichen Fundus an Wissen, dass wir ihn gebeten haben, für uns einen Artikel über die Entwicklung des Walzenstuhls zu schreiben. Den lesen Sie in einer der nächsten Ausgaben von"Mühle + Mischfutter".
Informationen zu „Paula“: www.windmuehle-steinhude.de
Auf einer Tagung des IFF-Forschungsinstitutes Futtermitteltechnik werden alternative Proteinträger beleuchtet.
2022
10/17/2022
Von Hanf bis Insekten – alternative Proteinträger im Überblick
Die Bedeutung, die der Verfügbarmachung und Bereitstellung von Proteinen aus alternativen Quellen in der Zukunft zukommt, nimmt stetig zu. Das gilt vor allem für solche Rohstoffe, bei denen keine Konkurrenz zur menschlichen Ernährung besteht. Vor diesem Hintergrund hatte das IFF-Forschungsinstitut Futtermitteltechnik zu der Fachtagung eingeladen, um der Diskussion über alternative Proteinträger für die Futtermittelproduktion ein Forum zu bieten. Mit der Fachtagung sollte mehr Einblick in Wissenschaft und Technik bezüglich alternativer Proteinträger geboten werden. Über 40 Teilnehmende, überwiegend aus der Mischfutterbranche, der Energiewirtschaft, dem Maschinenbau und der Zusatzstoffindustrie, nahmen an der Veranstaltung teil. Auch das Rahmenprogramm – ein gemeinsames Abendessen mit angeregten Diskussionen – wurde gut angenommen. Endlich konnte wieder intensiv „genetzwerkt“ werden. Ganz besonders freuten sich die Veranstalter darüber, dass sie Staatssekretär Prof. Dr. Ludwig Theuvsen vom Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz aus Hannover für einen Gastvortrag gewinnen konnten. Er schilderte den Teilnehmenden, wie sich die aktuelle Lage in der Ukraine auf die Produktion von Rohstoffen für Futtermittel auswirkt, und zeigte auch Lösungsoptionen vor dem Hintergrund des Krieges auf.
Im Anschluss an die Eröffnung der Tagung durch Prof. Dr. Werner Sitzmann und IFF-Geschäftsführer Rolf-Michael Blume hielt Dr. Verena Böschen von der IFF Braunschweig den ersten Fachvortrag. 80% der landwirtschaftlichen Biomasse kann der Mensch nicht direkt verzehren; lediglich 20% der Getreiderohstoffe sind für die menschliche Ernährung geeignet. Deshalb sind Proteinträger wie Algen, Insekten, Pilze sowie heimische Proteinpflanzen eine wichtige Alternative.
Alternative Proteinträger
Algen sind im Meer lebende Samenpflanzen. Im Gegensatz zum Seetang besitzen Seegräser Wurzeln und können blühen. Algen werden bereits seit Langem als Lebens- und Futtermittel genutzt. Während ihres Vortrages zeigte Dr. Böschen ein Video über die Algenernte. Darin war zu sehen, wie Algen mit einem Schiff abgeerntet wurden. Algenprotein ist hochwertig und enthält alle 21 Aminosäuren. Seine Qualität ist vergleichbar mit jener von Leguminosen. Die Zucht in Aquakulturen ist möglich. Ein schwankender Proteingehalt kann dort durch Temperatursteuerung während des Anbaus beeinflusst werden. Die Rohproteingehalte von Algen sind stark abhängig von der Spezies und der Jahreszeit. Sie betragen z. B. bei
braunem Seegras: 3–15% (TS)
grünem Seegras: 10–47% (TS)
rotem Seegras: 15–49% (TS).
Leguminosen sind sehr eiweiß- und energiereich. Außerdem sind sie ein Stickstoffsammler im Boden. 2021 hat sich der Trend zur Ausdehnung der Anbaufläche von Hülsenfrüchten fortgesetzt. So wurden im aktuellen Jahr auf insgesamt knapp 245000 ha Körnerleguminosen angebaut. Das ist ein Anstieg um mehr als 9% gegenüber dem Vorjahr.
Insekten besitzen ebenfalls einen sehr hohen Proteinanteil und sind leicht zu halten. In puncto Verwertbarkeit und Zucht sind sie gegenüber Rindern wesentlich effizienter. So beträgt der essbare Anteil einer Heuschrecke über 80% – beim Rind sind es nur 40%. Für die Produktion von 1 kg Rind wird viermal so viel Futter benötigt wie für die Produktion von 1 kg Heuschrecken. Insekten haben kurze Generationszeiten und sind bezüglich des Substrates nicht wählerisch. Ihr Lebensraum ist praktisch überall – mit Ausnahme der Ozeane.
Pilze sind ebenfalls gute Rohproteinträger. Es gibt geschätzt mehr als eine Million Arten.In ihrem Fazit machte die Referentin deutlich, dass es durchaus alternative Proteinquellen gibt. Seegräser und Algen verfügen über beträchtliche Gehalte an hochwertigem Eiweiß, werden bisher aber noch zu wenig genutzt. Leguminosen bzw. heimische Eiweißträger können hinsichtlich Ertrag und Qualität mit importiertem Soja zwar nicht mithalten, sind jedoch eine nachhaltige Ergänzung. Insekten, Pilze und maritime Eiweißquellen wiederum eignen sich sehr gut für den Einsatz in Futtermitteln, so Dr. Böschen in ihren Ausführungen.
Sichere Futtermittel
Über „Proteinträger aus Sicht des BfR“ referierte anschließend Robert Pieper vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin. Futtermittel müssen sicher sein – so lautete die Kernaussage des Vortrages. Um bei Futtermittelanalysen immer auf dem neuesten Stand zu sein, arbeitet das BfR mit einigen Referenzlaboratorien zusammen. Salmonellen sind leider immer noch ein Dauerproblem – ihre Bekämpfung bleibt somit ein essenzielles Management-Thema. Sorgfalt bei der Produktion und Wissen über Rohstoffe und Mischfutterherstellung sind hierfür unabdingbar. Probenahme und die Analytik sind wichtige Kriterien bei der Rückverfolgbarkeit. Aber auch der Vorverfolgung bis in den Trog kommt enorme Bedeutung zu. In der EU gibt es ein gutes Schnellwarnsystem, mit dem die Herkunft eines Futtermittels schnell zugeordnet werden kann. Sojaimporte in die EU lassen sich durch Einsatz von Lupinen reduzieren. Auch die Verwendung von Hanf stößt auf immer größeres Interesse. 3 g/kg bzw. 3 µg/kg Körpergewicht sind bei diesen beiden Pflanzen zulässig. Die Verarbeitung von Hanf ist zudem nur unter Ausschluss von THC/THCA erlaubt.
Donau-Soja
Anschließend berichtete Leopold Rittler von der Donau-Soja Organisation, Wien/Österreich, über „Donau-Soja: Stellung auf dem Proteinmarkt“. Donau Soja ist eine Initiative mit dem Ziel einer nachhaltigen Eiweißversorgung in Europa. Sie ist eine unabhängige, mitgliederbasierte Multi-Stakeholder-Organisation. Unterstützt wird sie von 24 Regierungen. Über 250 Mitglieder in mehr als 25 Ländern sind branchenübergreifend untereinander vernetzt. Die Vorteile für die Mitglieder sind zum einen die transparente Marktinformation sowie zum anderen gemeinsame Markt- und PR-Aktivitäten (z. B. Carbon-Footprint-Berechnung von Endprodukten wie Eiern und Schweinefleisch). Der CO-Fußabdruck tierischer Produkte wird wesentlich von den Futtermitteln bestimmt und kann durch Umstellung auf Donau-Soja um bis zu 40% gesenkt werden. Die Zertifizierung von Donau-Soja bedingt entwaldungsfreie Anbauflächen, transparente Lieferketten, 100%ige kontrollierte Gentechnikfreiheit sowie Nachhaltigkeit. Donau-Soja setzt Schwerpunkte zur besseren Vernetzung in Europa und entlang der Wertschöpfungsketten, wie z. B. die wettbewerbliche Kooperation im Bereich der Sojazüchtung. Beispiele sind ein internationales Sojaexperiment mit China sowie das EU-Projekt „Horizont“. Ziele sind die Effizienzsteigerung bei der Sojaverarbeitung und -verfütterung durch Qualitätskontrolle mittels NIRS-Technik, die Entwicklung einer eigenen Isotopendatenbank zur besseren Herkunftssicherung von Sojabohnen sowie der Ausbau der Wissensplattform „Legume Hub“. Laut EU Protein Balance Sheet stammen nur 36% der eiweißreichen Futtermittel aus der EU (Schrote aus Ölsaaten, Trockenschlempe etc.). Die Importe kommen zumeist aus Brasilien und Argentinien (rd. 70%) und aus den USA (rd. 18%). Importe bedeuten jedoch häufig den Verlust von Ökosystemen, z. B. im Amazonasgebiet und in der Region Cerrado. Laut World Resources Institute wurden im Zeitraum 2000–2015 weltweit 8,2 Mio. ha tropischer Wald für den Sojaanbau gerodet, praktisch zur Gänze in Südamerika. Hinzu kommen die Missachtung der Rechte indigener Völker, gesundheitliche Risiken für Anrainer, die Degradation der Böden sowie intransparente Lieferketten. Die Lösung wäre zertifiziertes Soja. Die Sojaanbaufläche in Europa hat zwischen 2011 und 2021 um 82% zugenommen. Auch werden mittlerweile gute Sojaerträge erzielt. Die Ausweitung der Kulturfläche hat positive Auswirkungen auf Umwelt und andere Pflanzen in der Fruchtfolge:
Der Bodenzustand ist günstig für den Anbau der Folgekulturen („Vorfruchtwert“).
Ein günstiges C:N-Verhältnis in der Biomasse der Ernterückstände fördert das Bodenleben.
Soja bringt mehr Diversität in Fruchtfolgen und reduziert das Risiko für Krankheiten, Schädlinge und Problemunkräuter (Beispiele: Halmbruch bei Weizen, Ackerfuchsschwanz, Maiswurzelbohrer).
Soja braucht keine N-Düngung und kann ohne Fungizide und Insektizide angebaut werden.
Schon heute könnten in Deutschland ca. 2 Mio. t Sojabohnen pro Jahr produziert werden. Damit ließen sich 40–50% des heimischen Bedarfes decken. Nur nachhaltige und gentechnikfreie Märkte erlauben den Aufbau einer unabhängigen europäischen Eiweißversorgung. Eine Zerstörung dieser Märkte ist kontraproduktiv und vergrößert in Europa die Importabhängigkeit von Soja, mahnte Leopold Rittler zum Ende seines Vortrages.
Proteine aus Algen
„Algen: Proteinlieferant aus dem Wasser“ – so lautete das Vortragsthema von Dr. Stephan Ende vom Alfred-Wegener-Institut (AWI), Bremerhaven. Zunächst stellte der Referent das Institut vor. Es ist international führend in der Polarforschung und liefert signifikante Beiträge in der Klima- und Küstenforschung zum Verständnis der Veränderlichkeit der globalen Umwelt und des Erdsystems. Des Weiteren erarbeitet es wissenschaftliche Grundlagen für politische Entscheidungen und stellt polare und marine Infrastruktur bereit.
Pilze als Proteinträger
Katrin Ochsenreither von der Technikum Laubholz GmbH, Blaubeuren, folgte mit ihrem Vortrag „Pilze als alternative Proteinträger“. Fleisch leistet weiterhin einen wichtigen Beitrag zur weltweiten Ernährung. Laut FAO und IFIF werden jährlich mehr als 1 Mrd. t Tierfutter produziert – stark zentralisiert und in nur wenigen Ländern. Tierfutter ist deshalb wichtiger Bestandteil der integrierten Nahrungskette. Die lokale Produktion von hochwertigen Proteinquellen für die tierische und menschliche Ernährung verringert Abhängigkeiten, verkürzt Transportwege und könnte nachhaltiger erfolgen. In der Landwirtschaft sind Pilze durchaus eine Alternative. Sie sind, ebenso wie Pflanzen, in der Lage, aus Ammonium- und Nitratsalzen hochwertige Proteine neu aufzubauen. Tiere und Insekten dagegen konzentrieren und veredeln lediglich vorhandene Proteine. Die Produktion von pilzlicher Biomasse erfolgt im Bioreaktor; Ackerfläche wird somit nicht benötigt. Die Kultivierungszeiten sind kurz und unabhängig von Wachstumsperioden und Klima. Pilze sind weder Tiere noch Pflanzen. Sie bilden ein eigenes „Reich“ und können noch am ehesten den Mikroorganismen zugeordnet werden. Was man landläufig unter Pilzen versteht, sind die Fruchtkörper der höheren Pilze, die auf feuchten Böden im Wald und auf Wiesen zu finden sind. Der Fruchtkörper ist jedoch nur ein winziger Teil des Pilzes und wird auch nur unter bestimmten Bedingungen gebildet. Der weitaus größte Teil des Pilzes wächst hingegen als feinfädiges Hyphengeflecht, gemeinhin auch als Schimmel bezeichnet. Dieses Geflecht ist unter den Pilzen im Waldboden zu finden, wo es sich weiträumig, zum Teil über mehrere Hektar, ausbreitet. Wachsen Pilze in einzelliger Form, dann spricht man von Hefen. Hefen bilden keine separate Abteilung innerhalb der Pilze, sondern sind in allen Untergruppen zu finden. Die Fruchtkörper bilden, wie bereits dargelegt, lediglich einen kleinen Teil des gesamten Pilzes und nur wenige essbare Pilze lassen sich kommerziell anbauen. Sie besitzen einen relativ niedrigen Proteinanteil. Anders sieht es bei der filamentösen und der Hefe-Form aus: Diese sind im Bioreaktor kultivierbar und werden in fermentierbaren Lebensmitteln eingesetzt. Ihr Proteingehalt ist höher. Die Proteinquelle aus dem Myzel wird als Mycoprotein bezeichnet, jene aus der Hefeform als Einzellerprotein.
Einzellerprotein
Nach dem Ersten Weltkrieg wurden Bierhefereste nach der Vergärung als Viehfutterersatz genutzt. Dies war so erfolgreich, dass sie auch für die menschliche Ernährung eingesetzt werden konnten. Die verfügbare Menge war hierfür allerdings nicht ausreichend. Deshalb wurde damit begonnen, durch gezielte Fermentation Hefe herzustellen. Diese hat im Zweiten Weltkrieg tatsächlich als Soldatenverpflegung gedient. Ab den 1960er-Jahren lief dann die Produktion von hochwertigen Proteinen für die menschliche und tierische Ernährung an: Grundstoffe waren Hefen (und andere Einzeller) aus niedrigpreisigen Neben- bzw. Abfallströmen nach dem Prinzip „zero waste“. Das Einzellerprotein ist im Ernährungswert vergleichbar mit dem Sojaprotein. Zwar verfügt es über weniger schwefelhaltige Aminosäuren (Methionin, Cystein), ist dafür aber sehr reich an Lysin und Threonin.
Bierhefe
Bierhefe ist ein Nebenprodukt der Bierherstellung und reich an B-Vitaminen und Mineralstoffen. Sie kann als Futter für Schweine, Wiederkäuer, Geflügel und Fisch verwendet werden. Bierhefe besitzt einen hohen Gehalt an Nukleinsäure (6–8%) und enthält bis zu 33% des Stickstoffes, welches kein Problem für Wiederkäuer ist, allerdings problematisch für monogastrische Säuger. Da die Bierhefe bereits bei der Bierherstellung mit Hopfen in Verbindung gekommen ist, muss sie entbittert werden und steht dann in flüssiger oder getrockneter Form zur Verfügung.
Lebendhefe
Aktive Trockenhefen werden üblicherweise allein oder in Kombination mit nützlichen Bakterien in probiotischen Produkten verwendet. Andere wichtige Erzeugnisse auf Hefebasis enthalten nutrazeutische Verbindungen, die in Hefezellen und Zellwänden vorhanden sind (z. B. ß-Glucane, Mannan-Oligosaccharide, Nukleotide), von denen allgemein gezeigt wurde, dass sie die Wachstumsleistung und Gesundheit von Tieren verbessern. Spezielle Hefeprodukte wie Selenhefe (hoch konzentrierte und verfügbare Selenquelle) und Phaffia-rhodozyma-Hefe (enthält Pigmente, welche die Fleischfarbe von Lachs und Forelle verbessern) werden einigen Tierfuttermitteln zugesetzt.
Mycoprotein
Mycoprotein ist eine Form des Einzellerproteins pilzlichen Ursprunges und sowohl für die menschliche als auch für die tierische Ernährung geeignet. Die Forschungen dazu begannen bereits in den späten 1950er-Jahren – aus Sorge vor einer Knappheit an hochwertigem Protein bzw. zur Sicherung der Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung. Damals war man auf der Suche nach einer hochwertigen Proteinquelle, die günstig und in großen Mengen produzierbar ist sowie einen hohen Proteingehalt und essenzielle Aminosäuren aufweist. Sie sollte eine fleischähnliche Textur haben, hohe Wachstumsraten ermöglichen sowie in Fermentern kultivierbar sein. Zum Abschluss ihres Vortrages ging die Referentin noch kurz auf die Herstellung von Mycoprotein in einem Wärmereaktor ein.
Leguminosen
Danach waren dann die Leguminosen das Thema: „Vom Acker bis in den Trog“ – so lautete der Titel des Vortrages von Dr. Reinhard Puntigam und Martin Schäffler von der Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL), Institut für Tierernährung und Futterwirtschaft. Dr. Puntigam hatte sich per Video zugeschaltet. Die energie- und nährstoffangepasste, also bedarfsgerechte Tierernährung kann als Bilanz verstanden werden. Es gilt, das Soll (= den Nährstoffbedarf eines Nutztieres bei einem bestimmten Leistungsniveau) mit dem Haben (= dem Nährstoffliefervermögen der kalkulierten Ration) optimal in Einklang zu bringen. Während eine Unterschreitung im Soll mit einer Minderung der tierischen Leistung einhergeht, resultiert die Überschreitung im Haben in einer gesteigerten Umweltbelastung (z. B. durch Ammoniak) sowie einer verminderten Ressourceneffizienz. Somit ist es entscheidend, bei der Rationskalkulation nicht nur die tierische, sondern auch die nährstoffliche Leistung der Einzelfuttermittel bestmöglich einzuschätzen. Schlussendlich ist es das Ziel, die umsetzbare Energie sowie die praecaecal verdaulichen Aminosäuren zu einem hochwertigen tierischen Lebensmittel zu transformieren. War in der Vergangenheit die Kombination aus Sojaextraktionsschrot und Getreide in den heimischen Trögen von Schweinen und Geflügel vorherrschend, so rückt aktuell vermehrt der Einsatz heimisch erzeugter und verarbeiteter Leguminosen in den Fokus der Rationsgestaltung.
Sojakuchen, Ackerbohne, Erbse und Lupine bis hin zu Luzerne und Rotklee sind auf dem Vormarsch und erweitern, neben einer Schließung der heimischen Eiweißlücke, den Blick über den Trogrand hinaus (z. B. hinsichtlich einer vorteiligen Wirkung in der Fruchtfolge sowie der futtermitteltechnologischen Verarbeitung). Wichtig bleibt dabei immer: Was man nicht misst, kann man nicht steuern! Eine Vielzahl von Analysedaten verdeutlicht die Bandbreite im Nährstoffgehalt der genannten Einzelfuttermittel und untermauert die Wichtigkeit der Nährstoffanalyse als Basis der Rationskalkulation. Die zusätzliche Anpassung mittels kristalliner Aminosäuren garantiert eine bedarfsgerechte Tierernährung und ermöglicht eine hohe Leistungsfähigkeit unter Einsatz heimischer Eiweißfuttermittel. Strategien der futtermitteltechnologischen Verarbeitung zur Steigerung der Nährstoffverdaulichkeit werden ebenfalls erprobt. Das Schälen und Toasten sowie die Vermahlung nehmen in der Verarbeitung großkörniger Leguminosen eine bedeutende Rolle ein. Speziell die optimierte Aufbereitung der Sojabohne im Zuge der dezentralen Verarbeitung steht hierbei im Fokus.
Neben den genetischen und chemischen Eigenschaften (Gehalte an Trypsininhibitoren, reduzierenden Zuckern etc.) versucht man, auch die physikalischen Eigenschaften (z. B. Bohnengröße) zur optimalen Einwirkung von Temperatur und Zeit bei der Toastung zu berücksichtigen. Ziel ist dabei stets, sowohl eine Über- als auch eine Unterprozessierung zu vermeiden. Ein wertvolles Tool zum „intelligent processing“ stellt hierbei die Anwendung der Nahinfrarotspektroskopie (NIRS) dar. Der Einsatz von NIRS zur optimierten Aufbereitung durch gezielten Temperatureintrag für eine bestimmte Zeitspanne, die anschließende Evaluierung der Parameter der Unter- und Überprozessierung (Proteinlöslichkeit) sowie die Anwendung bei der Rationsgestaltung ermöglichen eine kosten- und zeiteffiziente Nutztierernährung vom Feld bis in den Trog. Neben großkörnigen könnten auch kleinkörnige Leguminosen (z. B. Klee und Luzerne) verstärkt Anwendung in der Schweine- und Geflügelernährung finden. Forschungsarbeiten zum Entblättern der Luzerne bis hin zur Herstellung von hochwertigen Proteinkonzentraten in der Bioraffinerie stellen PraktikerInnen und WissenschaftlerInnen vor herausfordernde Fragestellungen. Die Anwendung standortangepasster Landnutzungssysteme unter Einsatz futtermitteltechnologischer Verfahren sowie die energie- und nährstoffangepasste Rationskalkulation durch Messen und Steuern leisten einen grundlegenden Beitrag zur nachhaltigen Tierernährung und Erzeugung hochwertiger tierischer Lebensmittel. Merke: Ein Futtermittel kann immer nur so gut sein wie seine Inhaltsstoffe!
Hanf als Futterpflanze
Der zweite Veranstaltungstag drehte sich um den Themenblock „Heimische Proteinträger und andere Alternativen“.
Der erste Vortrag von Prof. Jürgen Zentek vom Institut für Tierernährung der FU Berlin befasste sich mit dem Thema „Hanf – Pharma oder Futter“. Die Hanfpflanze ist sowohl für die Pharma- als auch für die Futtermittelbranche interessant. Man unterscheidet zwischen Drogenhanf und Faserhanf. Diese Differenzierung kann nur chemisch vorgenommen werden; phänotypisch sind beide Varianten nicht unterscheidbar. Zu den ausdrücklich nicht in Futtermitteln zugelassenen Hanferzeugnissen gehören
Cannabidiol
Hanfdestillat oder -solubles (die als nicht zugelassene Zusatzstoffe gelten)
Hanfblüten (rechtlich kein Futtermittel-Ausgangserzeugnis).
Nutzhanf wird im EU-Register nicht geführt und wurde als Einzelfuttermittel zurückgewiesen, was einem Verbot gleichzusetzen ist. Die Wirkungen von THC und CBD sind beim Nutzhanf eher im Bereich der Zusatzstoffe einzustufen. Hanf wird im Betäubungsmittelgesetz geführt. Der Anbau von Nutzhanf muss bei den Behörden angezeigt werden (§ 24a BtMG). Hanfkuchen ist als eher unverdächtig einzustufen, aber eine genaue Erklärung hierzu ist derzeit in der Diskussion. Zugelassene Faserhanfsorten enthalten nur geringe Mengen der psychoaktiv wirkenden Substanz Tetrahydrocannabinol (THC).
Hanferzeugnisse mit erhöhten THC-Gehalten können die Tiergesundheit beeinträchtigen. In der Tierernährung finden überwiegend Hanfsamen und -kuchen Verwendung. In Hanfsamen befindet sich pansenschützendes Protein. Für Legehennen können bis zu 30% Hanfsamen im Futter eingesetzt werden. Rohe Hanfsamen führten im Gegensatz zu hitzebehandelten zu einer Abnahme des Eigewichtes sowie der Futteraufnahme. Des Weiteren bewirken sie einen Anstieg der mehrfach ungesättigten und eine Verminderung der einfach ungesättigten Fettsäuren. Broiler können 5 bzw. 7,5% Hanfsamen im Futter aufnehmen. Bei Geflügel sind hohe Anteile (bis zu 20%) an Hanfkuchen, -mehl und -extraktionsschrot im Futter möglich, bei Mastschweinen >24% und bei Rindern >1 kg in der Mast. Bis zu 32% sind es in der Ration für Milchkühe. In seinem Resümee folgerte Dr. Zentek, dass Hanfanbau aus Sicht des Pflanzenbaues und der Tierernährung durchaus interessant ist. Der Kenntnisstand über den Einsatz in der Tierernährung ist allerdings noch sehr gering. Ein praktisches Problem ist der Graubereich der rechtlichen Einordnung.
Insektenproteine
Industrielle Produktion von Insektenprotein und -fett für die Futtermittelindustrie“ – das war anschließend das Thema des Vortrages von Wolfgang Westermeyer von der FarmInsect GmbH, Bergkirchen. Für eine nachhaltige Zukunft muss die Landwirtschaft neu überdacht werden. Der weltweite Nahrungsbedarf steigt bis 2050 um über 50%. Haupttreiber sind Bevölkerungswachstum und Fleischkonsum. Der Bedarf an Proteinfuttermittel wird bis 2050 um über 40% zunehmen. Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, muss die landwirtschaftliche Fläche über 50% Mehrertrag liefern. Gleichzeitig werden immer noch enorme Mengen von Lebensmitteln im Müll entsorgt:
88 Mio. t Lebensmittelabfälle entstehen jedes Jahr in der EU (Wert: 143 Mrd. Euro).
20–30% der erzeugten Lebensmittel landen im Müll.
95% der Lebensmittelabfälle werden in Deponien entsorgt.
Insekten bieten eine nachhaltige Lösung zur Proteinversorgung der Zukunft. Durch die Kreislaufwirtschaft kann nachhaltiges Tierfutter erzeugt werden. Regionale Rohstoffe sind sehr gut als Futtermittel geeignet, da keine langen Transportwege entstehen. Es können bis zu 50% COeingespart werden. Der hohe Futterwert ist vergleichbar mit jenem von Fischmehl. Allerdings ist Insektenmehl derzeit noch zwei- bis dreimal so teuer wie Fischmehl. Eine erste Pilotanlage bei Farminsect läuft seit mittlerweile zwei Jahren erfolgreich. Jüngst wurden 500000 Euro in den Umbau einer neuen Insektenproduktionslinie investiert.
Die Herausforderung bestand in der Klimatechnik. Ziel war, ein trockenes Substrat zu erhalten, das sich gut sieben lässt. Dazu wurden 8 m lange Klimakammern benötigt. Je nach Fütterungsstrategie werden 150–200 W/m² Wärme erzeugt. Umluftventilatoren treiben die Luft so lange um, bis sie gesättigt ist. Sie strömt gleichmäßig über alle Kisten. Eine stundengenaue Abstimmung von Temperatur, Feuchte, Luftumschlag und CO2 wirkt sich auf den Lebenszyklus der Tiere aus. Des Weiteren hat die Anlage eine Fernüberwachung und bei Bedarf kann ein Alarmsystem integriert werden. Mit einem Wärmetauscher lassen sich bis zu 50% der Abwärme zurückgewinnen. Die Aufzucht der Insekten kann jetzt direkt bei Landwirten erfolgen, da die Anlage automatisiert arbeitet. Farminsect begleitet die Produktion über mehrere Wochen.
Hanfextraktion
„Hanfextraktion – was ist möglich?“ Zu diesem Thema referierte Christoph Markmann von der DEVEX Verfahrenstechnik GmbH, Warendorf. Die Kultivierung von Nutz- bzw. Industriehanf erfreut sich in Deutschland wachsender Beliebtheit. Der Anbau ist bis max. 0,2% THC-Gehalt stark reglementiert. Hierzulande sind derzeit 42 Sorten mit CBD-Gehalten bis max. 2,7% zugelassen. Inhaltsstoffe wie Cannabinoide, Proteine, Aminosäuren, Terpene, Zucker, Alkohole, Flavonoide, Vitamine, Hydrocarbone, Aldehyde, Fettsäuren und Fasern finden sich in verschiedenen Pflanzenbestandteilen. Medizinisch relevante Stoffe sind im Bereich der Blüten auf den Trichomen (= Pflanzenhaaren) angesiedelt, Proteine eher in den Hanfsamen. Je nach Nutzung lassen sich verschiedene Züchtungen ableiten – entweder in Richtung Cannabisgewinnung (Droge, Medizin) oder als Nutzhanf. Cannabinoide und Terpene sind zurzeit stark diskutierte Inhaltsstoffe der Hanfpflanze. Cannabinoiden wie THC, CBD, CBN etc. wird medizinischer Nutzen nachgesagt, welcher teilweise tatsächlich nachgewiesen ist. Terpene sind ätherische Öle und können im Pflanzenschutz Anwendung finden. Beide Stoffgruppen lassen sich mithilfe verschiedener Methoden aus Nutzhanf, vor allem aus dessen Blüten und Trichomen, extrahieren. Die Extraktion ist ein Prozess, bei dem unter Einsatz eines Lösemittels unterschiedliche Stoffe aus einem Stoffgemisch (z. B. einer Pflanze) herausgelöst werden. Neben einem geeigneten Lösemittel erfordert das Verfahren i. d. R. bestimmte Temperaturen und Drücke sowie weitere Parameter. Die vor allem bei der Pflanzenextraktion am häufigsten genutzten Lösemittel sind Wasser und Ethanol. Der wohl bekannteste Extraktionsprozess ist das „Kochen“ von Kaffee oder Tee mit heißem Wasser. Nach der Extraktion kann der Trester weiter genutzt werden; abhängig von der Extraktionsmethode lassen sich daraus noch weitere Inhaltsstoffe isolieren. Trester kann aber auch als Futtermittel dienen, sofern er lösemittelfrei ist (er enthält auch noch Cannabinoide und andere für das Tier wertvolle Stoffe). Gegenstand der Forschung sind aktuell die Isolation von Protein nach Extraktion sowie die Auswirkungen auf das Tierwohl bei Nutzung des Tresters als Futtermittel.
Patrick Sudwischer von der IFF Braunschweig sprach anschließend über „Alternative Proteinträger aus Insekten – Verfahren zur Aufbereitung und mögliche Produkte“. Im letzten Vortrag ging es um „Körnerleguminosen in der Fütterung“. Darüber sprach Jan Berend Gernot Lingens von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Institut für Tierernährung, Hannover. Zum Abschluss der Tagung fand eine Diskussionsrunde zu alternativen Proteinträgern der nahen Zukunft statt. Schließlich ergriff dann Prof. Werner Sitzmann das Wort und verabschiedete die Besucher mit einem Dank für ihre Teilnahme und Fachbeiträge.
Futtermittelhersteller Heinrich Eggersmann hat im Corona-Jahr ein modernes Werk für Meisenknödel aufgebaut.
2022
10/16/2022
Millionen Meisenknödel mit Industrie-Robotern
Es ist einer der letzten Tage der Sommerferien und wir sind unterwegs auf schmalen Straßen in Ostwestfalen. Auf dem Rücksitz hat unser Sohn keinen Blick für die Landschaft. Für den 18-Jährigen ist der Besuch der Fabrik für Meisenknödel eine ungewollte Unterbrechung seiner Heimreise. Aber als Sandra und Heinrich Eggersmann uns herzlich begrüßen, kommt er doch gern mit in den Besucherraum. Gebannt lauscht er, wie das Ehepaar über den Aufbau seines neuen Geschäftsbereichs Meisenknödel berichtet.
Überraschung zu Weihnachten
Alles begann mit Müsliriegeln, erzählt Heinrich Eggersmann. Ein Discounter gibt diese bei ihm in Auftrag. Schließlich hat das Unternehmen Eggersmann eine lange Tradition. Bereits seit 1932 ist es bekannt für hochwertige Getreideverarbeitung. Heinrich Eggersmann fährt also vor drei Jahren kurz vor Weihnachten los, um eine Maschine für die Produktion der Riegel zu besorgen. Bei dem Händler entdeckt er neben der Müslimaschine Teile einer alten Anlage für Meisenknödel. Heinrich Eggersmanns Interesse ist sofort geweckt, er wittert ein Geschäft. Am Ende kauft er den überdimensionalen Kühlschrank der Anlage – den Grundstein für die Meisenknödelfabrik. Daheim ist seine Frau über die Investition nicht so erfreut und Weihnachten hängt der Haussegen ein wenig schief.
Getreu seinem Motto
„Entweder man ist Unternehmer oder nicht“
sucht Heinrich Eggersmann zwischen den Jahren rund um Rinteln eine Halle für die Produktion. Er findet sie am Rand des Industriegebietes in Extertal-Bösingfeld. Drei Hallen mit einem Bürogebäude stehen dort zum Verkauf.
Richtiger Mix mit der Maus
Zwei Monate später, im März 2020, kommt Corona und der Lockdown durchkreuzt alle Pläne für die neue Produktionsstraße. Die Familie rückt zusammen, die erwachsenen Kinder sind oft zu Besuch und nach und nach interessieren sich alle vier Kinder für die Pläne des Vaters. Gemeinsam wälzt die Familie Fachbücher über Vögel, überlegt sich Zutaten für Meisenknödel und experimentiert. Aber immer wieder fallen die Knödel auseinander. Den Durchbruch bringt eine „Sendung mit der Maus“ aus den 1970er-Jahren: Meisenknödel müssen ruhen, um die nötige Festigkeit zu bekommen, ist darin zu erfahren.
Gesagt, getan. Jetzt halten die Knödel und das „Tasting“ beginnt. Die Familienmitglieder hängen die unterschiedlichen Knödel im eigenen Garten und bei Mitarbeitern auf. Sorgsam wird notiert, welche Varianten bei welchen Vögeln gut ankommen. „Wir haben sogar regelrechte Knödel-Teststrecken im Garten aufgebaut“, berichtet Sandra Eggersmann schmunzelnd. Erst wenn eine Mischung den gefiederten Gourmets mundet, wird sie für die Produktion notiert.
Dank der Familienkooperation entstehen schließlich aus Mehlwürmern, Garnelenresten, Rosinen und Sonnenblumenkernen Meisenknödel und Streufutter in verschiedenen Variationen und Ausformungen. Auch Seidenraupen und jede Menge unterschiedlicher Kornmischungen werden ins Vogelmenü aufgenommen. Hühner lieben die großen XXL-Knödel, Wildvögel eher das Streufutter. Die kleinen Knödel gibt es mit Netz zum Aufhängen und ohne Netz zum Befüllen von Meisenringen.
Nur ein einziges Mal im Verlauf der Produktentwicklung ist die Familie gescheitert: Eigentlich sollten die Knödel vegan sein. Im Winter werden die pflanzlichen Fette jedoch zu hart. Deshalb hält jetzt wieder Rindertalg die Knödel zusammen. Die 500-g-Knödel bestehen zu 12–16% aus Fett, der Rest sind andere Zutaten wie Mehl, Flocken und Körner, teilweise aus der betriebseigenen Schälmaschine. Gemischt wird mit zwei Mischern auf zwei Linien. Zur Lagerung nutzt Eggersmann eigene Silos.
E-Commerce boomt
Nach dem Lockdown startet Heinrich Eggersmann mit wenigen Maschinen und viel Handarbeit die Produktion. Schnell wird aus der Weihnachtsidee der Renner im Unternehmensverbund. Die „Knödelbude“ mit dem treffenden Produktnamen „Volaris“ brummt. Der Verkauf über E-Commerce wächst rasant und muss schon bald professioneller aufgestellt werden. Das gelingt mit der E-Commerce-Software „Shopware“ und fünf auf den Online-Verkauf spezialisierten Mitarbeitern.
Neben einem hohen Budget für das Online-Marketing sind positive Bewertungen im Internet wichtig für den Verkaufserfolg. Anders als Billigware mit beispielsweise hohen Anteilen von Kalk, schneiden die Produkte von Eggersmann bei Tests gut ab. Dass dies so bleibt, dafür sorgen zwei Mitarbeiterinnen, die regelmäßig Fortbildungen besuchen und die Rezepturen optimieren. Heute produziert der gelernte Müller täglich 850 000 Meisenknödel. Der Umsatz in dieser Sparte macht inzwischen 10% seines Gesamtgeschäftes aus, Tendenz steigend.
Die erste Halle des Werkes ist allein für den E-Commerce reserviert. Hier stapeln sich – gut sortiert – Säcke mit Futtermitteln, Plastikbehälter mit Knödeln sowie Paletten mit Vogelnahrung. Jeden Tag verlassen zwei mit Vogelfutter beladene Lkw das Werk.
Fachkräftemangel
Insgesamt hat die Firma 83 Mitarbeiter. Zwei davon sind Müllermeister mit Ausbildungsnachweis. Ausbildung ist ein großes Thema bei Familie Eggersmann. Obwohl das Unternehmen vom Müller bis zum IT-Spezialisten ausbildet, bewerben sich kaum junge Leute für die Verfahrenstechnologie. Sandra Eggersmann wirbt deshalb bei regionalen Ausbildungsmessen und Schulveranstaltungen für die Ausbildung in ihrem Betrieb. Oft mit Erfolg. „Die Branche ist krisenfest und nach der Lehre hat man quasi eine Jobgarantie. Viele Lebensmittelbetriebe im In- und Ausland suchen dringend Müller.“
Automatisierte Anlage
Fünf Knödelpressen hat Eggersmann in Betrieb. Am Anfang der Produktionslinie werden die Zutaten mit angewärmtem Material gemischt und geformt. Zum Verpacken müssen die Knödel abgekühlt und formstabil sein. Dazu kommen sie nach dem Pressen in die Abkühllinie. Diese besteht aus einem insgesamt 160 m langen Paternosterband, untergebracht in dem gebraucht gekauften überdimensionalen Kühlschrank. Rund 20 Minuten dauert es, bis die Knödel auf –5 °C heruntergekühlt sind. Der Kühlschrank vom Weihnachtsfest ist übrigens weiter umstritten: „Er könnte schneller laufen“, gibt Heinrich Eggersmann zu.
Automatisierung und Verpackung
Im Lockdown hat Heinrich Eggersmann sich mit Digitalisierung beschäftigt und viel gelernt. Seine Bedingung beim Aufbau des Werkes beschreibt er so: „Ich will jederzeit morgens in meine Halle gehen und ganz allein die Produktion starten können.“ Deshalb läuft die Fertigung überwiegend automatisiert ab und wird digital per SPS gesteuert.
Während Heinrich Eggersmann zusammen mit Werksleiter Michael Landmann die Anlage aufbaut, grübelt er, wie er die Knödel am Ende der Linie effizient verpacken und palettieren kann. Ihm ist klar, dass dies angesichts der großen Menge per Hand nicht geht. „Wenn wir pünktlich produzieren und liefern wollen, müssen wir automatisieren“, so sein Fazit. Aber wie kann er das mit seinem vorhandenen Budget schneller und einfacher erreichen?
Der Unternehmer besucht die Messe „Fachpack“, aber dort ist für ihn alles zu teuer: Fast 1 Mio. Euro müsste er für eine Verpackungsanlage ausgeben. Zu Hause setzt er sich deshalb nach Feierabend an den PC. In der Flut von Informationen versucht er eine Lösung zu finden. „Du stehst hilflos da. Es ist so, als ob du Stoffe für Kleidung kaufst, aber bis daraus ein Maßanzug wird, brauchst du viel Hilfe“, beschreibt Heinrich Eggersmann seine Recherche. Mit den Suchbegriffen „Roboter selbst konfigurieren“ hat er bei Google endlich Erfolg: Er findet die Firma Coboworx aus dem kleinen Moselort Osann-Monze und stellt dort eine Anfrage. Das Integratorenteam um Olaf Gehrels meldet sich, man telefoniert und findet zu einer passenden Verpackungslösung.
Systemintegrator für KMUs
„Große Konzerne wie Automobilhersteller haben sofort Zugriff auf sehr hohe Automatisierungsgrade, aber den kleinen und mittelständische Firmen im verarbeitenden Gewerbe fehlt meist der Zugang“, so Olaf Gehrels von Coboworx.
Er und sein Integratorenteam bringen den Kunden mit dem richtigen Systemintegrator zusammen. Für die Planung und Realisierung sowie den Greiferbau zum Abpacken der Meisenknödel engagierte man Matheus Industrie-Automation. Gemeinsam überlegt das Team mit Heinrich Eggersmann, wie viel Platz in der Halle ist, womit die Knödel verpackt werden sollen, wie Lagerung und Transport erfolgen können und wie sich das alles wirtschaftlich umsetzen lässt.
Die Automatisierungslösung per Roboter setzt Eggersmann mit eigenem Personal um. Die Steuerung mit smarter Software hält er möglichst einfach. Werksleiter Michael Landmann und sein Team sind dank der SPS bereits computeraffin und werden von Matheus für die Anlage mit der neuen Steuerung weitergebildet. Auch danach gibt es Support, wenn noch Fragen auftauchen.
Tom & Jerry
Stolz präsentiert uns Heinrich Eggersmann das Ergebnis der Zusammenarbeit – immerhin eine Investition im hohen sechsstelligen Bereich: Am Ende der Halle arbeiten zwei gebraucht gekaufte ABB-Flexpalletizer. Der erste, genannt Tom, ist ein IRB 460 mit 2,4 m Reichweite; der zweite heißt Jerry und ist ein IRB 660 mit 3,15 m Aktionsradius.
Die beiden Roboter aus der Autoindustrie sind so erweitert, dass sie gleichzeitig mehrere Trays oder Kunststoffeimer abpacken und palettieren. In der Palettierzelle laufen auf dem einen Förderband folierte Trays mit je sechs eingesetzten Meisenknödeln, auf dem zweiten die Eimer mit Meisenknödeln, aktuell noch in geringerer Stückzahl. Tom setzt die Trays in paratstehende Kartons, Jerry stellt Paletten bereit und palettiert Eimer.
Ziel: vollautomatisch
Wichtig ist der Kartonaufrichter. Er bereitet kleinere Kartons vor, die dann über ein Rollenband zur Roboterzelle transportiert werden. Displaykartons haben Platz für 150 Stück der 6er-Schalen Meisenknödel. Rund 80 cm tief ist so ein Karton. Deshalb muss der der Roboter auch genauso tief hineingreifen können.
Die in Folie eingeschweißten Trays greift sich Tom mit seinem Sauggreifer, der von der Firma Matheus speziell für Eggersmann konzipiert wurde. Es ist ein Doppelgreifer mit vier Reihen von je vier Saugnäpfen. Acht oder 16 Trays können damit auf einmal gegriffen werden. Alles funktioniert vollautomatisch, nur zum Greifen von Eimern ist ein Greiferwechsel und damit der Mensch notwendig.
Personal benötigt Heinrich Eggersmann nur noch zum Auflegen der Meisenknödel auf die Trays und am Ende der Linie, wenn die fertigen Paletten per Gabelstapler geholt und ins Lager gebracht werden. Aber auch diese Arbeitsgänge möchte Heinrich Eggersmann noch automatisieren. Ganz ohne Personal sollen statt 35–40 dann 50–55 Schalen pro Minute gepackt werden. Heinrich Eggersmann hat seine Investition bisher nicht bereut: „Die Leistung der Roboter flasht mich jedes Mal!“, freut er sich.
Cobots für die Zukunft
Der Unternehmer bleibt offen für Neues und will weiter automatisieren. So versenden seine Mitarbeiter die bis zu 25 kg schweren Säcke noch von Hand. Das Hantieren mit diesen gewichtigen Gebinden sollen demnächst kollaborative Roboter wie Cobots übernehmen. Zudem ist geplant, dass bald fahrerlose Transportsysteme, z. B. autonome mobile Roboter, das Lager übernehmen. Sie werden für ihren jeweiligen Arbeitsauftrag extra programmiert und können vom Betriebspersonal gesteuert werden.
Heinrich Eggersmanns Vision ist, dass in seinem Werk künftig weder Roh- oder Fertigmaterial noch Verpackungsware vom Menschen angefasst werden müssen. Wir sind überzeugt, dass ihm das gelingt. Auf dem Heimweg fragen wir unseren Sohn, wie ihm der Besuch gefallen hat. „Der Mann ist eine Legende!“, so die Antwort.
Work-Life-Balance und Alternative Proteine waren die Trendthemen
2022
10/13/2022
Tagung für Müllerei-Technologie mit Erntegespräch
Auf der zweitägigen Veranstaltung gab es eine Fachpräsentation mit 17 Ausstellern und genügend Platz und Zeit für persönliche Gespräche. Workshops zu Besatzbestimmung, Backfähigkeit und Qualitätsbestimmung boten Anregungen und interessante Vorträge zur Ernte und aktuellen Themen rundeten die Veranstaltung ab. Ein gelungenes Catering und eine Abendveranstaltung machten die Reise ins Lipperland zusätzlich attraktiv.
Erntegespräch – erste Erfahrungen
Am Dienstag startete die Veranstaltung mit den Vorträgen des Erntegespräches. Den Anfang machte Dr. Lorenz Hartl, vom Tagungsleiter Dirk Wilke als „personifizierter Weizen” angekündigt. Er gab aber nicht nur zum Weizen, sondern auch zum Roggen einen Überblick über erste Ernteerfahrungen. Insgesamt waren die Bedingungen für die Aussaat des Winterbrotgetreides günstig und die meisten Bestände durchliefen eine gute Herbst- und Winterentwicklung. Probleme durch Trockenheit im Frühjahr und Frühsommer sind regional unterschiedlich und zu verschiedenen Zeitpunkten spürbar. Aufgrund hoher Temperaturen und starker Sonneneinstrahlung setzte die Abreife, teilweise auch Notreife, früh ein. Dadurch war die Getreideernte früh abgeschlossen. Standorte mit guten Wasserkapazitäten brachten zwar hohe Erträge ein, insgesamt gibt es aber ein mittleres Ertragsniveau. Besonders auf den Sandböden im Osten Deutschlands zeigten sich Einbußen, gerade beim Roggen. Die Bedeutung der Sortenwahl werde künftig wichtiger.
Qualitative Ergebnisse
Dr. Alexandra Hüsken kündigte eine sortenspezifische Auswertung an und ging in ihrem Vortrag auf erste qualitative Ergebnisse ein. Knapp 90% der Weizen- und etwas über die Hälfte der Roggenproben waren schon auf Qualitätsparameter und auf die Verunreinigung mit Mykotoxinen hin analysiert worden. Die diesjährige Winterweichweizen-Ernte weist im Durchschnitt aller untersuchten Proben aus dem Bundesgebiet einen Rohproteingehalt von 11,8% auf – ein fast historisches Tief. Auch der Sedimentationswert liegt unter dem Niveau des Vorjahres. Insgesamt ist die Klebergüte als gut dehnbar und elastisch einzustufen, der reduzierte Feuchtklebergehalt im Schrot kann jedoch die fehlende Proteinmenge nicht kompensieren, sodass die Mindestanforderungen der Mühlen oft nicht erreicht werden. Beim Roggen erreichen 99,8% der analysierten Proben Brotroggenqualität. Qualitativ stellt sich die Roggen-Ernte auch in diesem Jahr als enzymarm dar. Erfreulicherweise seien in den diesjährigen Ernteproben sehr geringe Gehalte an Deoxynivalenol (DON) und Zearalenon, wie Dr. Christine Schwake-Anduschus berichtete. Im Weizen liegen die Gehalte im langjährigen Mittel auf einem extrem niedrigen Niveau. Keine der untersuchten Weizen- oder Roggen-Proben überschritt die Grenzwerte. Hinsichtlich der niedrigen Fusarientoxin-Gehalte profitieren insgesamt alle Anbaugebiete von den Trockenperioden während des Getreide-Aufwuchses. Allerdings ist das mittlere Vorkommen von Mutterkornsklerotien gegenüber dem Vorjahr erhöht. In 28% der Proben beim Roggen wurde der Grenzwert von 0,5 g/kg überschritten. Neue Sorten und globale Märkte Dirk Rentel stellte die neuen Weizen- und Roggensorten vor, die durchweg gute Werte bezüglich Proteinen und Fallzahl aufweisen. In einem Exkurs zeigte er die Möglichkeit der Einführung neuer Effizienzparameter in der Sortenliste: Die Frage blieb, wie sinnvoll und hilfreich etwa ein Wert für die Proteineffizienz oder Stickstoffeffizienz einer Sorte sein kann. Den Abschlussvortrag hielt Bernhard Chilla, Marktanalyst bei der Agravis Raiffeisen AG. Er gab einen Überblick über die globalen Getreidemärkte. Insgesamt sind die Preise derzeit schwankend und es werden nur geringe Volumina an den Börsen gehandelt. Kanada, Australien und Argentinien können in diesem Jahr viel anbieten, fraglich sind Russland, die Ukraine und China. Entscheidend ist die weltweite Versorgung mit Mais. Insgesamt ist die knappe Versorgungslage mit Mais und auch mit Weizen weltweit ein Problem. Eine Verschiebung der Handelsströme und eine Regionalisierung des Handels deuten sich an.
Work-Life-Balance
Der evangelische Pfarrer Wolfgang Lehmann stellte am Nachmittag seinen Ansatz für eine Work-Life-Unity vor, eine Einheit und ein Zusammenspiel von Arbeits- und Privatleben. Dabei wird das Bild der Waage der Work-Life-Balance ersetzt durch ein Bild zweier Zahnräder, die ineinandergreifen und sich gegenseitig stabilisieren.
Technologie und Innovation
Sackware wird für Bäckereien aufgrund des Wachstums bei Spezialprodukten wichtiger. Die Nachfrage nach Absackanlagen wächst. Maro Bauer von Kastenmüller stellte verschiedene Varianten und den Aufbau von Absackanlagen vor. Er erläuterte deren Einsatz an einem Beispiel mit einer Kontrollsiebmaschine aus Edelstahl, Einzelstutzenverpacker für Schrote und dunkle Mehle, Doppelstutzenverpacker für helle Mehle, Ultraschall-Verschlusssystem, Metalldetektor, Kontrollverwiegung, Etikettierer, Palettierer und vollautomatischem Wickler. Dietmar Heinemann präsentierte Bühler-Lösungen rund um den Walzenstuhl. Für die verschiedenen Walzenstühle wird nun ein Retrofit für den synthetischen Abstreifer angeboten – ohne Borsten. Das TVM erfasse Temperatur und Vibration direkt in der Walze, übermittle die Daten digital und sorge so für eine Walzenstuhlführung, die nicht mehr subjektiv sei, sondern zum Prozess-Know-how gehöre. Expertenwissen wird über das Tool „Smart Companion” bereitgestellt. Die digitalen Lösungen in Verbindung mit modernsten Vermahlungssystemen sollen die „Smart Mill” ermöglichen. Digital vernetzbar, nachhaltig durch geringen Energieverbrauch und innovativ in der Technik seien auch die fünf Wiege- und Dosiersysteme von Bühler, die Andre Reinecke vorstellte: die automatische Schüttwaage „Akrivis”, den Mengenregler „Rois”, den Mikrodosierer „Varion A” sowie die Differenzialdosiersysteme „Varion G” und „Varion P”.
Analytik
Standardbackversuche dienen der Ermittlung des Backverhaltens von Zutaten und Rezepturen sowie der Eignung von Verfahren und Techniken. Da sich glutenfreie Rohstoffe von herkömmlichen in ihrem Verhalten und der Handhabung grundsätzlich unterscheiden, wurde ein Mini-Backversuch von Brabender entwickelt. Dr. Matthias Mayser stellte die Ergebnisse vor. Mithilfe des speziell entwickelten „FarinoAdd-S33” würden sich glutenfreie Teige mit dem Farinograph kneten lassen, ohne dass die Teige aufschwimmen. Dr. Jens Begemann zeigte in seinem zweiten Vortrag, wie stark sich der Feuchtegehalt einer Getreideprobe auf die Ergebnisse von Qualitätsparametern auswirken kann. Seine Untersuchungen belegen einen deutlichen Einfluss auf die Partikelgrößen. Hieraus lasse sich ableiten, dass die Ergebnisse von Qualitätsuntersuchungen an Getreideproben, die sich im Wassergehalt stark unterscheiden, zu hinterfragen sind. Die Probenvorbereitung habe in den Mühlen eine hohe Bedeutung. Die Probenaufbereitung ist auch entscheidend bei der Bestimmung des Anteils von Ergotalkaloiden – einem unerwünschten Inhaltsstoff in Mutterkorn-Sklerotien. Dorothea Link berichtete über die neuen Grenzwerte in diesem Bereich. Die Ergotalkaloid-Gehalte in den Mutterkörnern seien stark schwankend. Es sei daher erforderlich, beides zu ermitteln, um den Gesamt-Ergotalkaloid-Gehalt in Mahlprodukten zu erhalten. Die Handlungsempfehlungen für Mühlen zum Umgang mit Mutterkorn werden derzeit überarbeitet und sollen den Umgang mit entsprechenden Partien erleichtern.
Alternative Proteine
Dass sich die Analytik im stark wachsenden Segment der glutenfreien Mehle weiterentwickeln muss, betonte Markus Löns von Brabender. Hülsenfrüchte als Proteinlieferanten liegen im Trend und das aus ihnen gewonnene Mehl muss analytisch untersucht werden. Die herkömmlichen Methoden eignen sich für den Umgang mit den glutenfreien Mehlen, bedürften aber Anpassungen. So wurde ein Zusatzmodul für den Farinographen entwickelt und Methoden und Geräte verändert. Trotz guter Ergebnisse besteht weiter Forschungsbedarf. Der Vortrag von Anke Hausmann behandelte die Herstellung von texturierten Fleischalternativen mittels Extrusion. Durch Proteinverschiebung, sprich Feinstvermahlung und anschließender Windsichtung, würde bei Bühler in Zusammenarbeit mit Hosokawa Alpine ein Proteinkonzentrat mit einem Proteingehalt von 55% hergestellt. Die Rügenwalder Mühle steht für den Erfolg von Fleischersatzprodukten in Deutschland. 2021 wurden mehr vegane und vegetarische Produkte als Fleisch verkauft, so Sören Rossmann. Mittlerweile lässt die Rügenwalder Mühle Soja in Brandenburg, NRW, Bayern und versuchsweise in Mecklenburg-Vorpommern anbauen. Konsumenten wünschen mehr Regionalität und Soja eigne sich aufgrund seiner hellen Farbe und des neutralen Geschmackes als idealer Rohstoff.
Gesunde Ernährung
Obwohl Sorghum das fünftmeist produzierte Getreide weltweit ist, ist es in der westlichen Getreide- und Backwarenindustrie weitgehend unbekannt. Bislang wurde Sorghum vor allem für Viehfutter und die Bioethanolproduktion verwendet. Sorghum kann warmen Wetter problemlos standhalten und habe Potenzial für Europa, so Rubina Rumler. Sie erforschte im Projekt „Klimatech” an der Boku Wien, inwieweit Sorghum als Beimischung in Weizenmehlen genutzt werden kann und berichtet über positive Erfahrungen. „Altbewährtes” als Trend – dafür steht Hafer. Caroline Nichols sprach in ihrem Online-Vortrag von der Kraft des Hafers. Sie ist Buchautorin und Geschäftsführerin der 3Bears Food GmbH, die den deutschen Cerealien markt durch innovative Haferprodukte wie Porridge, Riegel oder „Hot drops” ergänzte.
Aus- und Fortbildung
Die Suche nach Auszubildenden beschäftigt die Branche. Auch die Gewerbliche Schule Im Hoppenlau, Stuttgart, hat rückläufige Schülerzahlen. Petra Sträter möchte den Beruf des Müllers wieder mehr in den Fokus rücken. Sie fordert mehr Sichtbarkeit, aktiv auf Bewerber zuzugehen und Perspektiven aufzuzeigen – sowohl von Seiten der Betriebe als auch der Schulen. Anne-Kristin Barth vom VDM unterstrich ebenso die Notwendigkeit, den Bekanntheitsgrad des Müller-Berufes zu steigern.
Der Schlussvortrag der Müllerei-Tagung lag in den Händen des Nachwuchses. Die DMSB-Absolventen Jeffrey Freiter und Maren Sting stellten die Ergebnisse ihrer Projektarbeit vor: die Planung einer Reinigung in ein neues Silogebäude mit Anbindung an das Gebäude der Mühle Sting. Die Umsetzung steht nun an – ein Beispiel für das gelungene Zusammenspiel von Ausbildung und Praxis.
Ausstellerforum
Die Austeller können hier in Kurzform ihre Neu- und Weiterentwicklungen präsentieren. Emirhan Baydur stellte depart vor, ein Unternehmen der alapala-Gruppe, das Ersatzteile für Müllereimaschinen aller Hersteller weltweit vertreibt. Christian Müller von PerkinElmer sprach darüber, wie man Digitalisierung in der Produktion gewinnbringend einbringen kann. Mit smarter Prozessanalytik lasse sich Energie einsparen, Produktionskosten senken und eine stets gleichbleibende Produktqualität sicherstellen. Carola Feindt von Romer Labs stellte den „AgraStrip® Pro Watex” zur schnellen Mykotoxinanalyse für Rohstoffe vor. Wie man mit alternativen Energiekonzepten und passgenauen Produktionssystemen Optimierungspotenziale erschließen kann, erläuterte Burkhardt Arendts von Schulz Systemtechnik.
Mikroalgen betreiben wie Pflanzen Photosynthese, nutzen also die Energie der Son
2022
9/28/2022
Mikroalgen: Proteinträger aus dem Wasser
Mikroalgen betreiben wie Pflanzen Photosynthese, nutzen also die Energie der Sonne und wandeln Kohlenstoffdioxid in proteinreiche Biomasse um. Die Mikroalgenbiomasse kann als Proteinquelle in der Tierernährung dienen und wenig nachhaltiges Soja ersetzen. Bei der IFF-Fachtagung „Von Hanf bis zu Insekten – Alternative Proteinträger im Überblick“ wurde dieses Thema behandelt.
Der Bedarf an Fisch nimmt ständig zu. Im Jahr 2030 werden voraussichtlich weitere 40 Mio. t an Fisch und Meeresfrüchten benötigt. Dieser zusätzliche Bedarf an Rohstoffen für Futtermittel kann nicht durch die Intensivierung der Fischerei gedeckt werden.
Bereits jetzt ist die Aquakultur eine der Hauptindustrien für die Verwendung von Soja als alternative Proteinquelle zu Fischmehl. Mikroalgen gelten neben beispielsweise Insekten oder anderen pflanzlichen Rohstoffen als eine mögliche Alternative zu Fischmehl und Soja. Sowohl der hohe Proteinanteil als auch das Aminosäure-Profil und die Verdaulichkeit machen beispielsweise die Mikroalgenart Arthrospira platensis zu einem möglichen Fischmehl-Proteinersatz.
Speziell bei Futtern mit niedrigem Fischmehlanteil (wie Tilapia-Futter) lassen sich 100% des Fischmehles (und Fischöles) durch Mikroalgen (Nannochloropsis sp) ersetzen. Die Herstellungskosten für das auf Mikroalgen basierte fischmehl-/ölfreie Futter von 0,95 USD/kg waren konkurrenzfähig zu dem fischmehl-/fischölbasiertem Futter.
Eine Gegenüberstellung der Produktionskosten von Mikroalgen in unterschiedlichen Ländern bzw. Kontinenten, Anlagenvolumen und Systemen macht deutlich, dass die Produktionskosten von in Deutschland produzierten Mikroalgen aufgrund der hohen Betriebskosten (Photobioreaktortechnik) keine ausschließliche Nutzung der Biomasse als Proteinquelle möglich machen. Die Produktionskosten von Mikroalgen in Photobioreaktoren sind aktuell etwa 100-fach höher als die Herstellungskosten von Fischmehl bzw. von Mikroalgen aus Asien (siehe open-raceway-Beispiele).