Die Grundversorgung mit Getreide in unsicheren Zeiten
Ohne Mampf kein Kampf
Die Grundversorgung mit Getreide in unsicheren Zeiten
Ohne Mampf kein Kampf

Die Grundversorgung mit Getreide in unsicheren Zeiten
Ohne Mampf kein Kampf
Der alte Bundestag hat ein Milliarden-Paket für die Verteidigung beschlossen. Es umfasst nicht nur Ausgaben für Militär, sondern auch für den Zivil- und Bevölkerungsschutz. Was bedeutet dieser ausgeweitete Verteidigungsbegriff für die Mühlenwirtschaft?
Die Initiative, den Begriff der Verteidigung auf den Zivil- und Bevölkerungsschutz auszuweiten, ging von der Partei Bündnis 90/Die Grünen aus. Vor dem Beschluss des Milliarden-Pakets beschworen viele Redner in der letzten Sitzung des alten Bundestages die Gefahr eines heraufziehenden Krieges. „Die Umstände werden vor allem von Putins Angriffskrieg gegen Europa bestimmt“, so beispielsweise Friedrich März (CDU). „Es ist ein Krieg auch gegen unser Land, der täglich stattfindet. Mit Angriffen auf unsere Datennetze, mit der Zerstörung von Versorgungsleitungen, mit Brandanschlägen (…).“ Merz will sich gegen diese Angriffe mit allem, was ihm zu Gebote steht in der nächsten Zeit zur Wehr setzen. Am 16. März 2025 sprach sich sein Unionskollege Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der konservativen EVP–Fraktion im Europaparlament ganz offen für eine Umstellung auf eine Kriegswirtschaft in der EU aus.
Auch der französische Präsident Macron sieht eine Kriegsgefahr für Europa. Er will an jeden französischen Haushalt ein Überlebensheft aushändigen, damit sich die Bevölkerung auf die unmittelbare Bedrohung vorbereiten kann. Ende März fordert die EU-Administration alle Bürger der Mitgliedsstaaten wgen der Bedrohungslage auf, eine Notration für drei Tage anzulegen. Als der ungarische Außenminister Peter Szijjjarto diese Meldung als Scherz abtun will, betonte die EU den Ernst der Lage. Die bayerischen Grünen fordern für alle Männer und Frauen bis zum 67. Lebensjahr einen verpflichtenden Wehr- oder Gesellschaftsdienst inklusive Musterung in Deutschland. Der Dienst soll „Freiheitsdienst“ genannt werden. Die Bundesgrünen wollen neue Rekrutierungsmodelle und wie der Verteidigungsminister Pistorius eine Musterung aller wehrfähigen Deutschen für den "Dienst an der Waffe".

Aus der Geschichte lernen
Die Schuldenaufnahme in Milliardenhöhe ist beschlossen, ein großer Teil soll in die Verteidigung und den Bevölkerungsschutz investiert werden. Was bedeutet das für die Mühlenwirtschaft?
Getreide spielte schon in der römischen Kriegswirtschaft eine zentrale Rolle: Jede Legion war auf zuverlässige Kornvorräte angewiesen, um sowohl auf langen Märschen als auch in Schlachten leistungsfähig zu bleiben. Weizen diente dabei als bevorzugtes Grundnahrungsmittel. Jeder Legionär trug in der Regel einen Ledersack mit seiner täglicher Getreideration, die mithilfe simpler Handmühlen im Feld gemahlen werden konnte. Ohne den daraus hergestellten sättigenden Brei hätten die Legionen kläglich versagt.
Das Logistiksystem der Römer mit einem Netzwerk aus Straßen, Wasserwegen und Lagern stellte sicher, dass Getreide aus Ägypten und Sizilien rechtzeitig an die Front gelangte. Fiel diese Versorgung aus, drohte Disziplinverlust und damit das Scheitern eines Feldzugs. Schon bei den Römern fungierte Getreide zugleich als Schlüsselfaktor für wirtschaftlichen Aufschwung, militärische Dominanz und innere Stabilität.
Von den Römern, über das Spätmittelalter bis in die Neuzeit gilt Getreide als unverzichtbar für die Kriegswirtschaft. Der Besitz von Kornspeichern und Mühlen spielt oft eine kriegsentscheidende Rolle. Burgen und Städte legen Vorräte an, um Belagerungen zu überstehen. Wer ausreichend Getreide hat, kann Truppen, Pferde und Bevölkerung ernähren und den Feind durch Aushungern zur Aufgabe zwingen.
Im Hundertjährigen Krieg (1337–1453) zwischen England und Frankreich sind Plünderungen von Getreidevorräten an der Tagesordnung. Bei der Belagerung Wiens durch die Osmanen 1529 und 1683 zeigt sich, wie entscheidend Getreide ist, um längere Blockaden abzuwehren. Napoleon I. mobilisierte Anfang des 19. Jahrhunderts 700 000 Soldaten - die größte Armee, die damals jemals eingesetzt wurde in der Militärgeschichte - und zog gegen Russland. Am 14. September 1812 erreichte Napoleon Moskau rechtzeitig zum Winteranbruch. Der Zar hatte die Stadt und alle Vorräte niedergebrannt. Napoleons Soldaten hatten Versorgungsprobleme. Im Dezember befahl Napoleon deshalb den Rückzug. Auf diesem Marsch zurück nach Frankreich durch die Kälte verhungerte und erfrohr der Großteil der Grande Armée kläglich. Eine Niederlage, die das Ende der Herrschaft Napoleons einleitetet.

Während der Weltwirtschaftskrisen Anfang des 20. Jahrhunderts erweisen sich erneut Nationen, die ausreichend Getreide haben als volkswirtschaftlich widerstandsfähiger. Über Jahrhunderte hinweg war Getreide die Grundlage jeder Kriegsführung und Verteidigung.
Getreide für den Angriff
Nach der Machtübernahme 1933 bereitet das NS-Regime die deutsche Wirtschaft gezielt auf einen kommenden Krieg vor. Bereits in den ersten Jahren gerät die Landwirtschaft ins Visier: Die inländische Getreideversorgung muss gesichert werden. Deutschland soll unabhängig vom Weltmarkt werden. Dazu reorganisiert das Regime die Agrarproduktion, führt Vorschriften für den Anbau von Getreide ein und plante große Lagerkapazitäten. Über das Reichsnährstandsgesetz bündelt es alle Landwirte in einer staatlich kontrollierten Organisation, die Preise, Saatgut und Erntemethoden zentral steuert.
Die Mühlen spielen eine Schlüsselrolle. Zur Koordinierung werden Mühlen zusammengelegt oder staatlich überwacht. Damit soll die Produktion schneller hochgefahren und mögliche Engpässe vermieden werden. Der Staat erläßt genaue Richtlinien, welche Getreidesorten zu vermahlen sind und wie die Verteilung abzulaufen hat. Außerdem werden große Getreidelager aufgebaut, um eine Reserve für Krisenzeiten anzulegen. Der sogenannte Eintopfsonntag oder die propagierte Nutzung von Ersatzstoffen wie Kartoffeln und Rübenmehl zielt darauf ab, das kostbare Getreide zu schonen und es für die Wehrmacht zu reservieren.
Die Preisgestaltung erfolgt durch staatliche Vorgaben. Um die Ernährung der Bevölkerung und der Wehrmacht zu kontrollieren, legt das Regime Preise fest. Landwirte müssen ihr Getreide oft zu diesen vorgeschriebenen, meist niedrigen Preisen abliefern. Sobald der Krieg begann, wurde das System durch Lebensmittelkarten und Rationen verschärft: Jeder Haushalt bekam nur eine begrenzte Menge Brot oder Mehl. Vor allem in den besetzten Gebieten verschärften die Nationalsozialisten die Versorgungssituation gezielt und nahmen Hungersnöte in Kauf, indem sie große Mengen an Getreide requirierten und nach Deutschland transportierten.
Während des Krieges verschlechtert sich die Ernährungslage in Deutschland zusehends. Die Transporte geraten ins Stocken, und die Landwirtschaft leidet unter Arbeitskräftemangel. Zudem vernichten Luftangriffe Infrastruktur, Lagerhäuser und Mühlen. Die gezielte Bombardierung von Verkehrswegen wie Bahnhöfen und Brücken erschweren den Transport von Getreide an die Front oder in die Städte. All diese Faktoren führen dazu, dass in Deutschland das Getreide knapper wird.
Nach Kriegsende verschärft sich die Lage, da zudem große Ackerflächen verwüstet oder in den Ostgebieten verloren sind. Reparationsforderungen, Demontagen und die Tatsache, dass Millionen Menschen durch Vertreibungen und Flüchtlingsströme versorgt werden müssen, verschlimmert die Versorgungskrise. Für die Zivilbevölkerung bedeutet dies jahrelange Not und Hunger. Erst dank internationalen Hilfsprogrammen und dem Wiederaufbau entstehen wieder verlässliche Strukturen, die die Versorgung mit Mehl und Brot stabilisiert sich langsam.
Notreserve Getreide
Die älteren erinnern sich, wie ihre Eltern und Großeltern Nahrungsmittel vor dem Hintergrund der Hungersnöte wertschätzten. Die folgenden Generationen wuchsen im Überfluss auf und kaum jemand die Entbehrungen von damals nachvollziehen. Wohl auch ein Grund, dass bisher in den Debatten der Politiker, die sich auf einen Krieg vorbereiten wollen, die Versorgungslage mit Getreide noch keine große Rolle spielt.
Die Bundesrepublik Deutschland hat keine umfassende „Bundesreserve Getreide“ mehr, wie es sie in früheren Jahrzehnten gab. Dennoch existieren bis heute gewisse Notfallvorkehrungen, die Teil des Katastrophenschutzes und der zivilen Ernährungsvorsorge sind. Zuständig dafür ist in erster Linie das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), während das operative Management über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) erfolgt.
Früher wurden größere Mengen an Getreide in staatlichen Lagern vorgehalten („Bundesreserve“), um die Bevölkerung in Krisenzeiten kurzfristig versorgen zu können. Mit der Liberalisierung der Agrarmärkte in der Europäischen Union und geänderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen ist dieses Prinzip stark zurückgefahren worden. Heute stützt sich Deutschland stärker auf Handelsbeziehungen und gewerbliche Händler und Verarbeiter, die gewisse Mindestvorräte einlagern.
Im Rahmen der Ernährungsvorsorge gibt es noch Lebensmittel-Notfalllager, die jedoch deutlich kleiner sind als frühere Bundesreserven. Eine feste Menge an Grundnahrungsmitteln wie Getreide, Erbsen, Bohnen oder Kondensmilch wird in dezentralen geheim gehaltenen Speichern eingelagert. Häufig sind dies gewerbliche Lagerorte von Getreidehändlern oder Mühlen, mit denen der Bund entsprechende Verträge schließt.
Umfang und Einkauf
Offizielle, detaillierte Zahlen zur eingelagerten Getreidemenge veröffentlicht die Bundesregierung aus Sicherheitsgründen nicht. In der Vergangenheit nannte man Volumina im Bereich einiger Hunderttausend Tonnen, jedoch deutlich weniger als in Zeiten des Kalten Krieges.

Bei Bedarf kauft die BLE das Getreide über Ausschreibungen an, lagert es für einen definierten Zeitraum und rotiert es nach Ablauf der Haltbarkeit aus. Diese Bestände sollen im Krisenfall die Versorgungslücke überbrücken, bis der Markt wieder funktioniert oder zusätzliche Importe organisiert sind.
Jetzt Handeln
Das System zur Grundsicherung mit Getreide ist als „Starthilfe“ gedacht und deckt im Krisenfall nur einen kurzen Zeitraum ab. Zusammengefasst sorgt Deutschland weiterhin mit staatlich koordinierten Verträgen für einen gewissen Puffer an Getreide. Allerdings fallen die heutigen Bestände vergleichsweise klein aus. Der Mühlenwirtschaft käme in der Bedrohungslage die wichtige Bedeutung zu, für eine längerfristige Versorgung mit Getreide Konzepte zu entwickeln. So müsste beispielsweise die Lagerhaltung an neue Herausforderungen angepasst werden.
Das milliardenschwere Verteidigungspaket dient militärischen Zwecken sowie dem Zivilschutz. Die enge Verzahnung von zivilen und militärischen Strukturen rückt Mühlen in den Fokus für einen geplanten Ausbau von Lager- und Produktionskapazitäten für eine ausreichende Vrsorgung mit dem Grundnahrungsmittel Getreide. Mit Technologie und vertraglicher Absicherung mit Landes- und Bundesbehörden können Mühlen die Notfallvorsorge unterstützen. So tragen sie dazu bei, eine stabile Getreide- und Mehlversorgung zu gewährleisten – sowohl im Alltag als auch in Krisenzeiten.
