Brotgetreide-Ernte 2023
Ernte 2023: Weizen- und Roggenqualitäten
Brotgetreide-Ernte 2023
Ernte 2023: Weizen- und Roggenqualitäten
Brotgetreide-Ernte 2023
Ernte 2023: Weizen- und Roggenqualitäten
Brotgetreide-Ernte 2023
Ernte 2023: Weizen- und Roggenqualitäten
Rein mengenmäßig fiel die Ernte 2023 trotz widriger Erntebedingungen zwar noch befriedigend aus, aber die Getreidequalitäten ließen vielfach zu wünschen übrig. Im Vegetationsverlauf waren zunächst die Bedingungen bei herbstliche Aussaat und winterlicher Bestandsentwicklung des Brotgetreides überwiegend günstig. Das kühle und regnerische Frühjahr sorgte in den meisten Regionen für (endlich wieder) gefüllte Bodenwasservorräte. Im Frühsommer verschlechterte sich die Situation dann jedoch dramatisch: Die vielerorts wochenlang trockene Hitze verursachte Stress – für Böden, Pflanzen und Landwirtschaft. Und nach dem Start der Ernte Ende Juli setzte nahezu bundesweit kühl-regnerisches Wetter ein, was die Ernte häufig bis Mitte August unterbrach. Der Dauerregen sorgte auf den Feldern für erhebliche Qualitätseinbußen – große Teile der eingebrachten Partien waren danach nur noch Futtergetreide. Die Heterogenität der Ernte 2023 ist daher charakterisiert durch die Frage „Mähdrusch vor oder nach dem großen Regen?“
Die Brotgetreide-Ernte in Deutschland: Erntemengen in 1.000 t
Beim Weizen liegt die Erntemenge um fast 5% unter dem Vorjahr und erreicht auch nicht das langjährige Mittel von 22 Mio. Tonnen. Das ist nicht nur schwachen Hektarerträgen, sondern ebenso den verringerten Anbauflächen geschuldet. Erträge und Erntemengen sind aufgrund der Witterungsbedingungen zur Ernte sehr unterschiedlich ausgefallen: Besonders negativ getroffen hat es die Landwirtschaft in den nördlichen Bundesländern, in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg mit einem Mengenminus gegenüber 2022 von 10% und mehr. Im Westen und Süden ist die Situation unterschiedlich: Entweder sind die Mengen (– 3-4%) aufgrund der Ertragseinbußen trotz erweiterter Anbauflächen leicht gesunken (z.B. in NRW und Rheinland-Pfalz), oder es liegt allein an den niedrigeren Erträgen (wie in Hessen und Baden-Württemberg). Bayern meldet heuer weitgehend unveränderte Ernteergebnisse, in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen sind Erträge wie Erntemengen im Plus. Nur die Hälfte des Winterweizens ist überhaupt noch „backfähige Handelsware“ und gute Brotgetreidepartien sind schwer zu finden – eine große Herausforderung für die regionale Qualitätsversorgung und das Handling in Mühlen und Bäckereien. Beim Roggen wurde die Anbaufläche gegenüber dem Vorjahr um rund 6% wesentlich erhöht, was im bundesweiten Mittel die in gleichem Maße gesunkenen Hektarerträge ausgleicht, so dass die deutsche Erntemenge nahezu unverändert ist. Auch beim Roggen gibt es eine regional differenzierte Ertragslage: Nur Sachsen und Baden-Württemberg weisen ein deutliches Plus auf, eine relativ stabile Ertragslage melden Thüringen, Hessen und Brandenburg. In allen anderen Bundesländern sind die Hektarerträge gegenüber dem Vorjahr gesunken, besonders dramatisch in Schleswig-Holstein um über 20%. Nur drei Viertel der geernteten Partien erfüllen die Mindestanforderungen für „Brotroggen“, was für die Mühlen aufwendige Beschaffung und Qualitätsprüfungen zur gezielten Selektion für roggenbäckerisch taugliche Mehle und Schrote bedeutet.
Praxisgerechte Bäckermehle trotz Qualitätsmängeln im Rohstoffangebot
Die enormen Schwankungsbreiten der Kennzahlen aus der Getreideanalytik spiegeln auch den problematischen Ernteverlauf wider. Neben den üblichen Unterschieden der Brotgetreidequalitäten, die witterungs-, vegetations- und sortenbedingt sind, war in diesem Jahr zusätzlich der Erntezeitpunkt von entscheidender Bedeutung für die messbaren Qualitätsparameter – insbesondere bei der gegenüber dem Vorjahr deutlich erhöhten Enzymaktivität. Zum Detmolder Erntegespräch der Arbeitsgemeinschaft Getreideforschung (AGF) präsentierte das Institut für Sicherheit und Qualität bei Getreide (MRI-Detmold) die aktuellen – wenn auch bundesweit noch nicht endgültigen – Untersuchungsergebnisse an Hunderten von Getreidemustern aus der „amtlichen“ Besonderen Ernte- und Qualitätsermittlung (BEE) für 2023:
Die gute Nachricht aus dem MRI-Untersuchungsbericht zuerst: „Die bundesweit trockenen Bedingungen im Frühsommer und während der Blüte des Getreides haben neben geringem Mutterkornvorkommen auch zu niedrigen Gehalten der Fusarientoxine Deoxynivalenolund Zearalenon geführt. Für diese wurden in den bislang untersuchten Weizen- und Roggenproben keine Grenzwerte überschritten.“
Weizen 2023: Niedrige Protein- und Kleberwerte im Getreide
Die Häufigkeit der Qualitätsgruppen hat sich erneut verändert: Der Anteil von Qualitätsweizen aus dem E- und A-Sortenbereich auf 50,4% gesunken und liegt damit um fast 10 Prozentpunkte unter dem langjährigen Mittel. Vor allem die EU-Sorten haben auf jetzt 23,5% zugelegt, wobei mit „Chevignon“ erstmals ein EU-Weizen unter den zehn wichtigsten Anbausorten an der Spitze liegt. Die Hektolitergewichte sind gesunken (Ø 75,7 kg/hl), mittlere Schmachtkornanteile (0,9%) und Mineralstoffgehalte (1,57%) bleiben auf dem langjährigen Niveau. Witterungsbedingt ist erstmals seit vielen Jahren auch Auswuchs mit fast 3% wieder ein Weizenthema. Bei den getreideanalytischen Standards machen sich die Mähdruschbedingungen in enormen Schwankungsbreiten und großen regionalen Unterschieden bemerkbar: Die durchschnittlichen Kornfallzahlen sind stark gesunken und liegen mit 273 s um 20% unter dem Vorjahr, wobei 1/3 der Muster den Enzymatikwert von 220 s nicht erreicht. Während der Rohproteingehalt gegenüber dem Vorjahr nahezu unverändert niedrig ist, weist das Profil eiweißabhängiger Kennzahlen deutlich-negative Veränderungen auf, wie ein Vergleich von aktuellem BEE-Durchschnitt mit langjährigen Mittelwerten (in Klammern) zeigt: Feuchtkleber 21,2% (25,3) und Sedi-Wert 36 ml (45). Unverändert niedrig bleibt der (für die BEE berechnete) mittlere RMT-Wert von 582 ml/100g(607), aus dem E-Sortiment stehen aber auch Sorten zur Verfügung, die RMT-Volumina von über 600 erzielen können.
Roggen 2023: Lange nicht gekanntes Kennzahlenprofil
In den letzten drei Jahren erfüllten praktisch alle untersuchten Muster die „Brotroggen“-Kriterien mit den Mindestmerkmalen für Fallzahl (> 120 s), Amylogramm-Maximum (> 200 AE) und Verkleisterungstemperatur (> 63 °C). Das ist in diesem Jahr anders: Nur 73% sind „Brotroggen“, wobei das obenstehende Kennzahlenprofil rechtgenau dem am MRI-Detmold ermittelten Fünfjahres-Durchschnitt für 2012-2017 entspricht. Die mittleren Hektolitergewichte sind auf 73,1 kg/hl gefallen, angestiegen sind dagegen Mineralstoffgehalt (Ø 1,77%), Schmachtkornanteile (Ø 6,9%) und Auswuchs (Ø 2,2%). Die Proteingehalte liegenstabil im Mittel der zurückliegenden Ernten. Durchschnittlich sehr niedrige Korn-Fallzahlen signalisieren eine erhöhte Enzymaktivität, wobei es ein Süd-Nord-Gefälle der mittleren Länder-Fallzahlen gibt– mit „Eckwerten“ von 290 s (für Bayern) bis 92 s (für Niedersachsen). Bundesweit ist die Streubreite etwas schmaler als im Vorjahr, beginnt und endet dabei niedriger. Nach den zuletzt gegen „unendlich“ gehenden Amylogramm-Einheiten und Verkleisterungstemperaturen sind in diesem Jahr nur noch wenige solche Ausreißer gemessen worden. Auffallend ist aber auch hier ein – den Fallzahlenanaloges – Datengefälle mit hohen Länderwerten im Süden und niedrigen im Norden. Die auf Bundesebene deutlich gesunkenen Mittelwerte liegen mit 860 AE bzw. 68 °C in einem Bereich, wie er für die Roggenernten vor 2018 charakteristisch war, weshalb sich auch zum Verarbeiten eine „backtechnische Rückblende“ anbietet.
Herausforderungen gemeistert: Mühlen gelingen gut passende Bäckermehle
Erntebedingte Qualitätsmängel, die enorme Streuung der Kenngrößen sowie eine regional oft eingeschränkte Verfügbarkeit stellen die Müllerei vor die große Herausforderung, geeignete Getreidepartien für die Herstellung hochwertiger Bäckermehle zu suchen und zu finden. Das macht aufwendiges Beschaffungsmanagement, gründliche Qualitätsprüfungen, produktorientierte Separierung und gezielte Selektion der Partien erforderlich. Es ist den Mühlen damit erfolgreich gelungen, die Rohstoffqualitäten auf bäckereitechnisch gut handhabbare Korridore einzuengen und die Mehle praxisgerecht einzustellen. Das zeigt ein Blick in die aktuellen Ernteberichte: Mittlere Mehl Fallzahlen von ca. 300 (für W 550) bzw. 200 (für R 997/1150) signalisieren „lebhafte Mehle“ mit starker Enzymatik. Beim Weizen entsprechen die Proteingehalte der Mehle im Mittel dem der BEE-Getreidemuster, aber mit wesentlich eingeengter Streuung (± 1,25%). Anders als im Getreide liegen die mittleren Klebergehalte der Bäckermehle auf gutem Vorjahresniveau - die Kleber sind ausreichend elastisch und backpraktisch weiter gut im Handling. Beim Roggen entsprechen auch die Mehle dem für die Jahre 2012-17 typischen Qualitätsprofil mit rheologisch jetzt wieder „normalisierten“ Amylogrammwerten - mit bäckerischem Erfahrungswissen gut zu verarbeiten.
Klimaschutz & Düngung, Weizensorten & Backqualität
Keine Frage: Wir – die Gesellschaft, Lebensmittelunternehmen und Haushalte – müssen runter mit den Treibhausgasen (THG), um die im Klimaschutzgesetz geforderte Minderung der jährlichen THG-Emissionen auf 56Mio. Tonnen CO2 im Jahr 2030 zu erreichen. Mögliche Einsparpotenziale in der Getreidewertschöpfungskettesieht die Bundesregierung daher bei „der Anpassung von Qualitätsparametern zur Backweizenbewertung und der Etablierung bei der aufnehmenden Hand zur Einsparung von Stickstoff-Qualitätsgaben bei der Backweizenerzeugung“ – so steht es im Entwurf des Klimaschutzprogramms 2023. Und klar ist schon länger: Es wird sich etwas ändern müssen – für Landwirtschaft und Getreidehandel wie für Müllerei und Backgewerbe. Ein Beitrag von Katja Mieles, die beim Verband der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft VGMS e.V. für den Fachbereich „Rohstoffe& Wertschöpfungskette“ zuständig ist.
Mehr Klimaschutz – mit weniger Stickstoffdüngung
In der Landwirtschaft werden weitere Anstrengungen zur Zielerreichung erforderlich sein. Einsparpotenziale liegen unter anderem in der Stickstoffdüngung. Diese ist – neben der grundsätzlichen Ertragssicherung im Getreideanbau – insbesondere für die Rohproteinbildung im Backweizen notwendig. Ein hoher Rohproteingehalt wird nach wie vor mit guten Backeigenschaftengleichgesetzt, wenn gleich seit längerem bekannt ist, dass die Backeigenschaften nicht allein durch den Rohproteingehalt bestimmt werden. Im Herbst 2022 hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) mit der Wertschöpfungskette Getreide hierzu einen Diskussionsprozess angestoßen, der inzwischen in ein Papier zur „Erweiterung der Qualitätskriterien für Backweizen“ gemündet ist.
Sortenwahl und zielgerichteter Anbau – eine Chance
Eine Vielzahl der heutigen Weizensorten zeigen sehr gute Backeigenschaften auch bei niedrigeren Proteingehalten. Somit ist es auch wenig überraschend, dass das Max Rubner-Institut, als Forschungs- und Beratungseinrichtung des Bundes, die Sorten – beziehungsweise die Sorteninformationen entlang der Wertschöpfungskette – als eine zentrale Lösung für die Optimierung der Prozesse sieht. Bereits die Züchtung kann durch Verbesserungen der Stickstoffeffizienz oder der Protein-Nutzungseffizienz einen wichtigen Beitrag dazu leisten, THG-Emissionen zu mindern. Dabei ist es wichtig, dass die Landwirtinnen und Landwirte Sortenwahl und Stickstoff-Düngeintensität auf die tatsächliche Verwertungsrichtung ausrichten.
Separiert sortieren – schon im Erfassungshandel
Die besten Sorteneigenschaften nutzen nichts, wenn die wertvollen Informationen auf dem Weg vom landwirtschaftlichen Betrieb in die Mühle verloren gehen – hier ist der Erfassungshandel gefragt. Er muss bei der Einlagerung des Getreides nach sortenspezifischen Qualitäten separieren. Die verlässliche Übermittelung von Sorteninformationen oder die Definition von Sortengemischen an die Mühlenbetriebe ist dabei essenziell, damit dort auch alle backtechnologischen Eigenschaften der verschiedenen Getreidesorten zielgerichtet genutzt werden können. Die Vermahlung von definierten Sortenmischungen („Qualitäts-Cluster“) stellt eine gute Möglichkeit dar, „klimafreundlicher“ erzeugte Rohstoffe zu verarbeiten und die in den Bäckereien benötigten Mehlqualitäten herzustellen.
Ausrichtung der Ressourcen – bis in die Backstuben
Eine Neuausrichtung des Geschäftsmodells ist dabei nicht nur vom Erfassungshandel gefragt. Auch die Bäckerei muss sich neu „sortieren“ und bereit sein, ihre Beschaffung auch an der Ressourceneffizienz der eingesetzten Mahlerzeugnisse und nicht ausschließlich an der maximalen Ausprägung von Parametern wie dem Feuchtklebergehalt oder dem Rohproteingehalt auszurichten. Hier ist auch bäckerisches Know-How gefragt, um unter sich ändernden Rahmenbedingungen für die gesamte Wertschöpfungskette weiter hervorragende Brot- und Backwarensortimente herzustellen.
Alle könn(t)en profitieren – noch aber gibt es Hürden
Mit Blick auf die aktuell diskutierten Klima- und Nachhaltigkeitskennzeichnungen wird der CO2-Fußabdruck auch für Backbetriebe wichtiger werden. Über 90 Prozent des CO2-Fußabdrucks der Mahlerzeugnisse kommen aus dem Brotgetreide – das größte Reduktions- und Innovationspotenzial in der Wertschöpfungskette. Und hier werden vor allem die sortenspezifischen Backqualitäten von Weizen eine Rolle spielen. Um diese nutzen zu können, müssen die Informationen zu den Sorten durch die ganze Getreidewertschöpfungskette erhalten bleiben, um sorteneigene Qualitätseigenschaften auch nutzen zu können.
Qualität neu denken – mit flexiblen Lösungen
Backweizenqualität neu zu denken und mit weniger Protein zu backen, wird seit vielen Jahren in der Wertschöpfungskette intensiv diskutiert und stößt in der Praxis immer wieder an Grenzen. Das hat die diesjährige Ernte deutlich gezeigt: Backqualität vermehrt über Sorten zu regeln, ist nicht einfach erfüllbar. Denn auch Getreidesorten, die mit niedrigeren Proteingehalten gute Backeigenschaften aufweisen, müssen ausreichend gedüngt und konsequent gesund erhalten werden. Zudem ist eine sortenreine Erfassung vom Getreidehandel insbesondere bei so chaotischen Ernten wie in diesem Jahr nicht konsequent leistbar. Die Lösungen für die Herausforderungen liegen in der Wertschöpfungskette selbst, liegen in Züchtung, Landwirtschaft, Getreidehandel, Müllerei und Bäckerei. Um die Getreidekette krisen- und klimafest zu machen, brauchen die Unternehmerinnen und Unternehmer aber flexible Vorgaben und Rahmenbedingungen. Die Erweiterung der Qualitätskriterien für Backweizen kann hierbei ein wichtiges Instrument sein, die alleinige Lösung der Herausforderungen wird dies jedoch nicht sein – und das ist seit langem klar