Eggersmann Futtermittel bald vollautomatisch
Millionen Meisenknödel mit Industrie-Robotern
Eggersmann Futtermittel bald vollautomatisch
Millionen Meisenknödel mit Industrie-Robotern
Eggersmann Futtermittel bald vollautomatisch
Millionen Meisenknödel mit Industrie-Robotern
Futtermittelhersteller Heinrich Eggersmann ist offen für Neues. Aus dem Nichts hat er im Corona-Jahr ein modernes Werk zur Produktion von Meisenknödeln aufgebaut. Mühle + Mischfutter besucht den innovationsfreudigen Unternehmer und berichtet, wie er und seine Familie Roboter aus der Automobilindustrie einsetzen.
Es ist einer der letzten Tage der Sommerferien und wir sind unterwegs auf schmalen Straßen in Ostwestfalen. Auf dem Rücksitz hat unser Sohn keinen Blick für die Landschaft. Für den 18-Jährigen ist der Besuch der Fabrik für Meisenknödel eine ungewollte Unterbrechung seiner Heimreise. Aber als Sandra und Heinrich Eggersmann uns herzlich begrüßen, kommt er doch gern mit in den Besucherraum. Gebannt lauscht er, wie das Ehepaar über den Aufbau seines neuen Geschäftsbereichs Meisenknödel berichtet.
Überraschung zu Weihnachten
Alles begann mit Müsliriegeln, erzählt Heinrich Eggersmann. Ein Discounter gibt diese bei ihm in Auftrag. Schließlich hat das Unternehmen Eggersmann eine lange Tradition. Bereits seit 1932 ist es bekannt für hochwertige Getreideverarbeitung. Heinrich Eggersmann fährt also vor drei Jahren kurz vor Weihnachten los, um eine Maschine für die Produktion der Riegel zu besorgen. Bei dem Händler entdeckt er neben der Müslimaschine Teile einer alten Anlage für Meisenknödel. Heinrich Eggersmanns Interesse ist sofort geweckt, er wittert ein Geschäft. Am Ende kauft er den überdimensionalen Kühlschrank der Anlage – den Grundstein für die Meisenknödelfabrik. Daheim ist seine Frau über die Investition nicht so erfreut und Weihnachten hängt der Haussegen ein wenig schief.
Getreu seinem Motto
„Entweder man ist Unternehmer oder nicht“
sucht Heinrich Eggersmann zwischen den Jahren rund um Rinteln eine Halle für die Produktion. Er findet sie am Rand des Industriegebietes in Extertal-Bösingfeld. Drei Hallen mit einem Bürogebäude stehen dort zum Verkauf.
Richtiger Mix mit der Maus
Zwei Monate später, im März 2020, kommt Corona und der Lockdown durchkreuzt alle Pläne für die neue Produktionsstraße. Die Familie rückt zusammen, die erwachsenen Kinder sind oft zu Besuch und nach und nach interessieren sich alle vier Kinder für die Pläne des Vaters. Gemeinsam wälzt die Familie Fachbücher über Vögel, überlegt sich Zutaten für Meisenknödel und experimentiert. Aber immer wieder fallen die Knödel auseinander. Den Durchbruch bringt eine „Sendung mit der Maus“ aus den 1970er-Jahren: Meisenknödel müssen ruhen, um die nötige Festigkeit zu bekommen, ist darin zu erfahren.
Gesagt, getan. Jetzt halten die Knödel und das „Tasting“ beginnt. Die Familienmitglieder hängen die unterschiedlichen Knödel im eigenen Garten und bei Mitarbeitern auf. Sorgsam wird notiert, welche Varianten bei welchen Vögeln gut ankommen. „Wir haben sogar regelrechte Knödel-Teststrecken im Garten aufgebaut“, berichtet Sandra Eggersmann schmunzelnd. Erst wenn eine Mischung den gefiederten Gourmets mundet, wird sie für die Produktion notiert.
Dank der Familienkooperation entstehen schließlich aus Mehlwürmern, Garnelenresten, Rosinen und Sonnenblumenkernen Meisenknödel und Streufutter in verschiedenen Variationen und Ausformungen. Auch Seidenraupen und jede Menge unterschiedlicher Kornmischungen werden ins Vogelmenü aufgenommen. Hühner lieben die großen XXL-Knödel, Wildvögel eher das Streufutter. Die kleinen Knödel gibt es mit Netz zum Aufhängen und ohne Netz zum Befüllen von Meisenringen.
Nur ein einziges Mal im Verlauf der Produktentwicklung ist die Familie gescheitert: Eigentlich sollten die Knödel vegan sein. Im Winter werden die pflanzlichen Fette jedoch zu hart. Deshalb hält jetzt wieder Rindertalg die Knödel zusammen. Die 500-g-Knödel bestehen zu 12–16% aus Fett, der Rest sind andere Zutaten wie Mehl, Flocken und Körner, teilweise aus der betriebseigenen Schälmaschine. Gemischt wird mit zwei Mischern auf zwei Linien. Zur Lagerung nutzt Eggersmann eigene Silos.
E-Commerce boomt
Nach dem Lockdown startet Heinrich Eggersmann mit wenigen Maschinen und viel Handarbeit die Produktion. Schnell wird aus der Weihnachtsidee der Renner im Unternehmensverbund. Die „Knödelbude“ mit dem treffenden Produktnamen „Volaris“ brummt. Der Verkauf über E-Commerce wächst rasant und muss schon bald professioneller aufgestellt werden. Das gelingt mit der E-Commerce-Software „Shopware“ und fünf auf den Online-Verkauf spezialisierten Mitarbeitern.
Neben einem hohen Budget für das Online-Marketing sind positive Bewertungen im Internet wichtig für den Verkaufserfolg. Anders als Billigware mit beispielsweise hohen Anteilen von Kalk, schneiden die Produkte von Eggersmann bei Tests gut ab. Dass dies so bleibt, dafür sorgen zwei Mitarbeiterinnen, die regelmäßig Fortbildungen besuchen und die Rezepturen optimieren. Heute produziert der gelernte Müller täglich 850 000 Meisenknödel. Der Umsatz in dieser Sparte macht inzwischen 10% seines Gesamtgeschäftes aus, Tendenz steigend.
Die erste Halle des Werkes ist allein für den E-Commerce reserviert. Hier stapeln sich – gut sortiert – Säcke mit Futtermitteln, Plastikbehälter mit Knödeln sowie Paletten mit Vogelnahrung. Jeden Tag verlassen zwei mit Vogelfutter beladene Lkw das Werk.
Fachkräftemangel
Insgesamt hat die Firma 83 Mitarbeiter. Zwei davon sind Müllermeister mit Ausbildungsnachweis. Ausbildung ist ein großes Thema bei Familie Eggersmann. Obwohl das Unternehmen vom Müller bis zum IT-Spezialisten ausbildet, bewerben sich kaum junge Leute für die Verfahrenstechnologie. Sandra Eggersmann wirbt deshalb bei regionalen Ausbildungsmessen und Schulveranstaltungen für die Ausbildung in ihrem Betrieb. Oft mit Erfolg. „Die Branche ist krisenfest und nach der Lehre hat man quasi eine Jobgarantie. Viele Lebensmittelbetriebe im In- und Ausland suchen dringend Müller.“
Automatisierte Anlage
Fünf Knödelpressen hat Eggersmann in Betrieb. Am Anfang der Produktionslinie werden die Zutaten mit angewärmtem Material gemischt und geformt. Zum Verpacken müssen die Knödel abgekühlt und formstabil sein. Dazu kommen sie nach dem Pressen in die Abkühllinie. Diese besteht aus einem insgesamt 160 m langen Paternosterband, untergebracht in dem gebraucht gekauften überdimensionalen Kühlschrank. Rund 20 Minuten dauert es, bis die Knödel auf –5 °C heruntergekühlt sind. Der Kühlschrank vom Weihnachtsfest ist übrigens weiter umstritten: „Er könnte schneller laufen“, gibt Heinrich Eggersmann zu.
Automatisierung und Verpackung
Im Lockdown hat Heinrich Eggersmann sich mit Digitalisierung beschäftigt und viel gelernt. Seine Bedingung beim Aufbau des Werkes beschreibt er so: „Ich will jederzeit morgens in meine Halle gehen und ganz allein die Produktion starten können.“ Deshalb läuft die Fertigung überwiegend automatisiert ab und wird digital per SPS gesteuert.
Während Heinrich Eggersmann zusammen mit Werksleiter Michael Landmann die Anlage aufbaut, grübelt er, wie er die Knödel am Ende der Linie effizient verpacken und palettieren kann. Ihm ist klar, dass dies angesichts der großen Menge per Hand nicht geht. „Wenn wir pünktlich produzieren und liefern wollen, müssen wir automatisieren“, so sein Fazit. Aber wie kann er das mit seinem vorhandenen Budget schneller und einfacher erreichen?
Der Unternehmer besucht die Messe „Fachpack“, aber dort ist für ihn alles zu teuer: Fast 1 Mio. Euro müsste er für eine Verpackungsanlage ausgeben. Zu Hause setzt er sich deshalb nach Feierabend an den PC. In der Flut von Informationen versucht er eine Lösung zu finden. „Du stehst hilflos da. Es ist so, als ob du Stoffe für Kleidung kaufst, aber bis daraus ein Maßanzug wird, brauchst du viel Hilfe“, beschreibt Heinrich Eggersmann seine Recherche. Mit den Suchbegriffen „Roboter selbst konfigurieren“ hat er bei Google endlich Erfolg: Er findet die Firma Coboworx aus dem kleinen Moselort Osann-Monze und stellt dort eine Anfrage. Das Integratorenteam um Olaf Gehrels meldet sich, man telefoniert und findet zu einer passenden Verpackungslösung.
Systemintegrator für KMUs
„Große Konzerne wie Automobilhersteller haben sofort Zugriff auf sehr hohe Automatisierungsgrade, aber den kleinen und mittelständische Firmen im verarbeitenden Gewerbe fehlt meist der Zugang“, so Olaf Gehrels von Coboworx.
Er und sein Integratorenteam bringen den Kunden mit dem richtigen Systemintegrator zusammen. Für die Planung und Realisierung sowie den Greiferbau zum Abpacken der Meisenknödel engagierte man Matheus Industrie-Automation. Gemeinsam überlegt das Team mit Heinrich Eggersmann, wie viel Platz in der Halle ist, womit die Knödel verpackt werden sollen, wie Lagerung und Transport erfolgen können und wie sich das alles wirtschaftlich umsetzen lässt.
Die Automatisierungslösung per Roboter setzt Eggersmann mit eigenem Personal um. Die Steuerung mit smarter Software hält er möglichst einfach. Werksleiter Michael Landmann und sein Team sind dank der SPS bereits computeraffin und werden von Matheus für die Anlage mit der neuen Steuerung weitergebildet. Auch danach gibt es Support, wenn noch Fragen auftauchen.
Tom & Jerry
Stolz präsentiert uns Heinrich Eggersmann das Ergebnis der Zusammenarbeit – immerhin eine Investition im hohen sechsstelligen Bereich: Am Ende der Halle arbeiten zwei gebraucht gekaufte ABB-Flexpalletizer. Der erste, genannt Tom, ist ein IRB 460 mit 2,4 m Reichweite; der zweite heißt Jerry und ist ein IRB 660 mit 3,15 m Aktionsradius.
Die beiden Roboter aus der Autoindustrie sind so erweitert, dass sie gleichzeitig mehrere Trays oder Kunststoffeimer abpacken und palettieren. In der Palettierzelle laufen auf dem einen Förderband folierte Trays mit je sechs eingesetzten Meisenknödeln, auf dem zweiten die Eimer mit Meisenknödeln, aktuell noch in geringerer Stückzahl. Tom setzt die Trays in paratstehende Kartons, Jerry stellt Paletten bereit und palettiert Eimer.
Ziel: vollautomatisch
Wichtig ist der Kartonaufrichter. Er bereitet kleinere Kartons vor, die dann über ein Rollenband zur Roboterzelle transportiert werden. Displaykartons haben Platz für 150 Stück der 6er-Schalen Meisenknödel. Rund 80 cm tief ist so ein Karton. Deshalb muss der der Roboter auch genauso tief hineingreifen können.
Die in Folie eingeschweißten Trays greift sich Tom mit seinem Sauggreifer, der von der Firma Matheus speziell für Eggersmann konzipiert wurde. Es ist ein Doppelgreifer mit vier Reihen von je vier Saugnäpfen. Acht oder 16 Trays können damit auf einmal gegriffen werden. Alles funktioniert vollautomatisch, nur zum Greifen von Eimern ist ein Greiferwechsel und damit der Mensch notwendig.
Personal benötigt Heinrich Eggersmann nur noch zum Auflegen der Meisenknödel auf die Trays und am Ende der Linie, wenn die fertigen Paletten per Gabelstapler geholt und ins Lager gebracht werden. Aber auch diese Arbeitsgänge möchte Heinrich Eggersmann noch automatisieren. Ganz ohne Personal sollen statt 35–40 dann 50–55 Schalen pro Minute gepackt werden. Heinrich Eggersmann hat seine Investition bisher nicht bereut: „Die Leistung der Roboter flasht mich jedes Mal!“, freut er sich.
Cobots für die Zukunft
Der Unternehmer bleibt offen für Neues und will weiter automatisieren. So versenden seine Mitarbeiter die bis zu 25 kg schweren Säcke noch von Hand. Das Hantieren mit diesen gewichtigen Gebinden sollen demnächst kollaborative Roboter wie Cobots übernehmen. Zudem ist geplant, dass bald fahrerlose Transportsysteme, z. B. autonome mobile Roboter, das Lager übernehmen. Sie werden für ihren jeweiligen Arbeitsauftrag extra programmiert und können vom Betriebspersonal gesteuert werden.
Heinrich Eggersmanns Vision ist, dass in seinem Werk künftig weder Roh- oder Fertigmaterial noch Verpackungsware vom Menschen angefasst werden müssen. Wir sind überzeugt, dass ihm das gelingt. Auf dem Heimweg fragen wir unseren Sohn, wie ihm der Besuch gefallen hat. „Der Mann ist eine Legende!“, so die Antwort.