Geschichte des Mühlenbaus in Braunschweig
Geschichte und Zukunft der MIAG
Geschichte des Mühlenbaus in Braunschweig
Geschichte und Zukunft der MIAG
Geschichte des Mühlenbaus in Braunschweig
Geschichte und Zukunft der MIAG
Braunschweig ist berühmt wegen seines Mühlenbaugewerbe. Begonnen hat die Geschichte des örtlichen Mühlenbaus in Wolfenbüttel. Der Mühlenbauer Rüdiger Hagen wirft einen Blick auf die fast 200-jährige Entwicklungsgeschichte und gibt einen Ausblick.
Die Engländer brachten die Industrialisierung und die in ihrem Land verwendete neuzeitliche Mühlentechnik nach Norddeutschland. In den 1830er Jahren lieferten sie die Technik für die ersten Eisenbahnen nach Mitteleuropa und bauten 1838 mit an der ersten Staatseisenbahn auf deutschem Boden, die von Braunschweig nach Wolfenbüttel verkehrte.
Mühlenbau aus England
Zwei bemerkenswerte Mühlen der Region fielen in diese Bauzeit und stammten ebenfalls aus englischer Hand: 1832 erbauten englische Mühlenbauer für die Braunschweiger Kaufleute Gebrüder Haase eine automatisierte Getreide- und Ölmühle mit Dampfbetrieb. 1837 ließen die Verlegerbrüder Vieweg in Wendhausen vor Braunschweig eine Wassermühle mit drei Mahlgängen zu einer Papiermühle umbauen. In ihr kam eine der ersten Wasserturbinen sowie eine von der Firma Köchlin in Mülhausen/Elsass gefertigte Papiermaschine zum Einsatz. Auf Reisen nach Manchester und Leeds lernten die beiden Verleger verschiedene Maschinenbaubetriebe kenne, die im Mühlenbau arbeiteten. Als Ersatz für die alte Getreidemühle ließen sie eine Windmühle vor dem Ort bauen, deren technische Ausstattung in England gefertigt wurde. Es handelte sich um eine Holländerwindmühle mit fünf statt der üblichen vier Flügel und einer sich mittels Windrose automatisch in den Wind stellenden Kappe. Während die Dampfmühle der Gebrüder Haase längst Geschichte ist, kann man die fünfflügelige Windmühle in Wendhausen als funktionsfähige Schauanlage bewundern.
Vom Müllergesellen zum Mühlenbauer
In dieser Zeit kam ein junger, am Mühlenwesen sehr interessierter Mann nach Braunschweig, der 1813 in Halberstadt geborene Gottlieb Luther. Bei seinem Vater hatte er in der Amtsmühle in Röderhof eine Müllerlehre absolviert, bevor dieser sich in Halberstadt als Mühlenbauer selbstständig machte. Gottlieb Luther kam 1833 als Müllergeselle in die Wassermühle Rüningen vor Braunschweig zu Müllermeister Rute. 1836 wechselte er zu den Gebrüdern Haase in deren Dampfmahl- und Ölmühle er einiges über die englische Mühlentechnik lernte und sich bei Mühlenbauarbeiten beteiligte. 1835 erhielt er einen Lehrbrief zum Müllergesellen von der kurz zuvor gegründeten Braunschweiger Müllergilde. Vermutlich hat er in der Zeit die neuartige Windmühle in Wendhausen besichtigt, denn sein Interesse für den Windmühlenbau wurde immer markanter. Mit seinem Wissen über den Mühlenbau errichtete er als selbstständiger Mühlenbauer 1842 eine Holländerwindmühle als Knochenmühle für den Salmiakfabrikanten Willies am Braunschweiger Madamenweg und 1843 die Lohmühle vor Eisenbüttel für die Braunschweiger Lohgerbergilde.
Heirat und Firmengründung
In Königslutter erneuerte und verbesserte Gottlieb Luther die technischen Ausstattungen von Öl- und Graupenmühlen, u. a. für den Müllermeister Schaper, dessen Tochter er 1846 heiratete. Nach der Hochzeit gründete er in der Wolfenbütteler Okerstraße eine eigene Mühlenbaufirma. In dieser „Gründerzeit“ war er verantwortlich für den Bau einer großen Holländerwindmühle in Clausthal-Zellerfeld im Harz. Hier verwendete er bereits viele Maschinenbauteile aus Gusseisen, die statt aus England aus der heimischen Industrie stammten.
1849 folgte eine weitere große Holländerwindmühle für den Müller Grote in Stroit bei Einbeck. Nun begannen die Schwierigkeiten für Gottlieb Luther. Die beengte Lage seiner Firma in der Okerstraße war das eine, die Nichtgenehmigung für eine eigene Gießerei an diesem Standort das andere. Luther war auf die Zulieferung von großen Gusseisenteilen durch andere Firmen angewiesen und wollte die Teile gerne selbst herstellen. Häufig taucht in Dokumenten aus dieser Zeit die Carlshütte in Delligsen als Zulieferbetrieb auf. Erst als Luther mit seiner Betriebsverlegung nach Oschersleben drohte, willigte der Wolfenbütteler Magistrat ein und genehmigte ihm den Bau der Gießerei mit der Auflage ausschließlich Maschinenteile für seinen Mühlenbau herzustellen. Durch die Lage war eine weitere Betriebsvergrößerung nicht möglich.
Erste Deutsche Mühlenbauanstalt
1852 erwarb Gottlieb Luther zusammen mit Anton Carl Peters, dem Sohn einer wohlhabenden Müllerfamilie aus Sickte, ein Grundstück hinter dem Wolfenbütteler Bahnhof am Schulwall. Darauf gründeten und errichteten beide die „Erste Deutsche Mühlenbauanstalt“, die unter dem Namen Luther & Peters firmierte. Der Titel „Erste Deutsche Mühlenbauanstalt“ war richtig ausgedrückt, denn unterschied sich diese Firma deutlich von allen anderen, rein handwerklich geprägten Mühlenbaufirmen jener Zeit. Zum ersten Mal unterschied man nun in der heimischen Mühlenbaugeschichte unter den Angestellten in Berufs- und Lohngruppen. Es waren Techniker, Ingenieure, Handwerker, Lageristen, Zeichner, Buchhalter und Tagelöhner. Die Firma war in der Lage, eine Mühle ohne Unterstützung durch Fremdunternehmen zu errichten.
Turbinenbau
Die Serienfertigung von Wasserturbinen und Müllereimaschinen und die Fertigung von Gewerken für die Spezialmüllerei, z. B. für Ölmühlen oder Sägewerke, waren die Stärke der Firma. Von der „Ersten Deutschen Mühlenbauanstalt“ ist das repräsentative Bürogebäude am Wolfenbütteler Schulwall erhalten geblieben.
Wolfenbüttel war in jenen Jahrzehnten zu einer Hauptstadt des Mühlenbaus in Europa geworden. Außer Luther & Peters gab es noch die Mühlenbauanstalt und Maschinenfabrik von Julius Kissel (1856) und die Mühlsteinfabrik von Greiner & John (1876). Als die ersten Walzenstühle aufkamen, was die markanteste Entwicklung in der Getreidemüllerei darstellte, trennten sich Luther & Peters im Jahr 1875. Denn schon 1871 hatte Anton Carl Peters zusammen mit dem Wolfenbütteler Buchhändler Ludwig Holle die Gießerei „Königshütte“ in Bad Lauterberg am Harz gekauft. Diese früher dem Hannoverschen Staat (daher der Name „Königshütte“) gehörende Fabrik stellte in der Hauptsache Kunstguss her und fiel nach der Annexion Hannovers 1868 an den Preußischen Staat, der die Fabrik verkaufte. Peters baute die Königshütte zu einer Maschinenfabrik und Mühlenbauanstalt um und errichtete dort als zweiten Geschäftsbereich eine Getreidemühle. Die gesamte Fabrikanlage und auch die Mühle sind heute noch als technisches Denkmal erhalten. Die Schwierigkeiten, die aus der Arbeit Peters an zwei Standorten erwuchsen, an dessen einen Standort Luther keine Anteile hatte, führten zur Trennung der beiden Geschäftspartner im Jahre 1875.
Umzug nach Braunschweig
Zusammen mit seinem Sohn Hugo verlegte Gottlieb Luther seine Firma zunächst in die Helenenstraße nach Braunschweig. Dort traf er zwei Entscheidungen, die die Entwicklung der Braunschweiger Mühlenbauindustrie maßgeblich prägte: 1878 begann er mit dem Aufbau einer großen Mühlenbaufirma für seinen Sohn Hugo in der Frankfurter Straße und erwarb von der Müllerfamilie Rute die Rüninger Mühle, die er für Versuchszwecke bzw. zum Ausprobieren neuer Müllereimaschinen nutzen wollte. Gottlieb Luther starb am 10. April 1879 in Braunschweig. Er gilt mit seinem konsequenten Wirken als Begründer der Braunschweigischen Mühlenbauindustrie.
Nach seinem Tod führte Hugo Luther die Firma weiter, während die Rüninger Mühle an eine Erbengemeinschaft fiel. In dieser Zeit wurden in Ungarn die Walzenstühle perfektioniert und zur Serienreife gebracht. Folgerichtig erwarb sich Hugo Luther vor Ort Kenntnisse über diese Maschinen und die Mahlverfahren der „Österreichisch-Ungarischen Hochmüllerei“. 1883 übernahm er dann die Vertretung der Firma Ganz in Budapest bzw. Ratibor, damals der führende Hersteller im Walzenstuhlbau. Er ging noch einen Schritt weiter, in dem er die Gebrüder Berkenbusch als Teilhaber gewann und mit deren Kapital die Rüninger Mühle zurückkaufte, die dann den Betrieb der Mühle übernahmen. 1885 errichteten Berkenbusch und Luther neben der Rüninger Mühle eine Werkstatt und erprobten und verbesserten die Walzenstühle von Ganz aus Ratibor. 1888 wurde die Firma eine Kommanditgesellschaft, was das Wachstum vereinfachte.
Plansichter aus Ungarn
Es war erneut die Budapester Firma Ganz, deren Ingenieur Carl Haggenmacher 1888 den Urtyp des Plansichters erfand. Und wieder war es Luther, der zusammen mit seinem leitenden Angestellten, Walter Konegen an der Verbesserung dieser Siebmaschine arbeitete. Von Ganz hatte Luther zuvor die Lizenz für das Haggenmacher`sche Patent erworben. Und als man ihn 1893 mit dem Neubau der Rüninger Mühle betraute, sollte diese die erste Anlage sein, bei der die Mehlsichtung ausschließlich durch Plansichter erfolgte.
Nun kamen unruhige Zeiten für Hugo Luther. Seit 1890 war er mit dem Großprojekt der Donauregulierung befasst und hielt sich in Rumänien und Ungarn auf. Zeitgleich errichtete er Getreidespeicher und Verladeanlagen für die Rumänische Staatseisenbahn. Das Projekt wurde von der Berliner Diskonto-Gesellschaft finanziert, welche Luther 1891 den Ingenieur Lemmer als Gesellschafter und Direktor vorsetzte. Dies führte dazu, dass die drei Kommanditisten Carl Giesecke, Ernst Amme und Julius Konegen 1894 aus dem Werk austraten und in der Roßstraße eine eigene Mühlenbaufirma gründeten (A.G.K, Amme, Giesecke & Konegen).
Walzenstühle aus Braunschweig
Von seinem Vater hatte Julius Konegen die Entwicklung des Plansichters übernommen und führte sie bei A.G.K. fort. Gleich nach Firmengründung nahm A.G.K. den Walzenstuhlbau auf und brachte die Modelle A und B auf den Markt. Es waren völlig neu gestaltete Konstruktionen, bei denen die Walzen nicht wie damals üblich in gleicher Ebene hintereinander (Horizontalwalzenstuhl), sondern platzsparender diagonal höhenversetzt, fast übereinander lagen. Luther reagierte darauf, als er 1897 die Mühlenbaufirma Seck in Darmstadt übernahm. Ein Jahr später wurde die Firma in eine Aktiengesellschaft umgewandelt.
Hugo Luther starb bereits 1901 und überlebte seinen Vater damit nur um 22 Jahre. Zunächst wurde die Firma von ihrem Direktor Lemmer geführt, erst 1909 übernahm Dr. Gerhard Luther, einer der beiden Söhne von Hugo Luther, nach abgeschlossener Ausbildung und Dissertation die Mitleitung. 1912 machte er sich aber als Ingenieur selbstständig und gründete zusammen mit der Mühle Rüningen die Roggenmühle in Braunschweig-Lehndorf. 1914 übernahm Dr. Luther die Leitung der Mühlenbaufirma Seck in Dresden und ließ bis 1917 im benachbarten Zschachwitz eine neue Fabrik errichten, in der in der Hauptsache Walzenstühle produziert wurden.
Gründung der MIAG
Wenige Jahre später erfolgte in Frankfurt bzw. Braunschweig die Gründung der einstmals weltgrößten Mühlenbaufirma MIAG (Mühlenbau- und Industrie AG). 1921 hatte Dr. Greffenius als Eigentümer des gleichnamigen Frankfurter Mühlenbaunuternehmens die Aktienmehrheit der Mühlenbaufirmen Luther und A.G.K. in Braunschweig, Kapler in Berlin und Seck in Dresden erworben und in Frankfurt eine Dachgesellschaft unter dem Namen „Mühlenbau- und Industrie AG“ gegründet. Seit 1922 firmierte die Firma unter ihrer Kurzbezeichnung MIAG. Bis 1925 haben die fünf beteiligten Firmen weiter selbstständig agiert, dann aber endgültig fusioniert und als Verwaltungssitz wurde Braunschweig gewählt.
Der Beginn war schwierig. 1927 legte man deswegen das frühere Kapler-Werk in Berlin und das Greffenius-Werk in Frankfurt still. Walzenstühle wurden im Werk Dresden (Zschachwitz und Schmiedeberg) und Plansichter im Werk Braunschweig hergestellt. Im Walzenstuhlbau erlangte die MIAG bald eine unanfechtbare Vorrangstellung. Das erste Walzenstuhlmodell „GN“ gilt heute noch als der bekannteste Walzenstuhl aller Zeiten. In zahlreichen Mühlen sind diese Maschinen heute noch immer im Einsatz. Das Gleiche gilt für das Nachfolgemodell „HN“, welches ab 1929 hergestellt wurde.
1935 erwarb H. Lerch die Aktienmehrheit und damit den Vorstandsvorsitz der MIAG. Er war zuvor für die Hanomag in Hannover tätig gewesen. Unter ihm kommt es zu Neuregelungen, da das Werk in der Zeit der Weltwirtschaftskrise und unter der Nationalsozialistischen Regierung in Schwierigkeiten geraten war. 1941 wurde der Firmenteil Luther aus der MIAG herausgelöst und wieder eigenständig. Eine weitere Zäsur für die Firma brachten dann die Kriegsjahre 1939 bis 1945. Das Werk in Braunschweig wurde 1945 schwer beschädigt und das Werk in Dresden fast vollständig zerstört. Ab 1945 wurde die gesamte Produktion vom MIAG-Werk in Braunschweig übernommen. 1947 wurde das Werk in eine GmbH umgewandelt.
Seit 1955 gab es mit der MIAG Nordamerika eine Tochtergesellschaft in Minneapolis. In diesen Jahren wuchs die MIAG wieder zur größten Mühlenbaufirma der Welt mit zahlreichen Auslandsniederlassungen. Dennoch geriet die Firma ab Ende der 1960er-Jahre in Schieflage. 1972 übernahm die Firma Bühler aus Konstanz, ein Tochterunternehmen der Bühler AG aus Uzwil / Schweiz, alle Geschäftsanteile der MIAG, die ab 1973 unter der Bezeichnung Bühler-MIAG firmte. Seit 1989 ist der Name MIAG endgültig aus der Firmierung verschwunden, das Werk heißt jetzt Bühler GmbH, Braunschweig.
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